Kaufmann, Carl Maria, Die Menasstadt und das nationalheiligtum der altchristlichen Aegypter in der westalexandrinischen wüste

(Leipzig :  K.W. Hiersemann,  1910-)

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VORWORT.
 

Nach der archäologischen und kunsthistorischen Seite hin verzeichnen
die Ausgrabungen in der Oasenstadt des Menasheiligtums als bedeutsamstes
Resultat die Aufdeckung einer Gruppe von Sanktuarien, welche als erstes Beispiel
und ohne Entstellung oder wesentliche Restauration die Schiebungen der Baukörper
über den ehrwürdigsten Grabmemorien der christlichen Welt illustriert Während
sich an den Bautenkomplexen des heiligen Grabes in Jerusalem, an den Haupt¬
grüften der Christenheit zu Rom, Ephesos und anderwärts Urform und Entwick¬
lung mehr oder weniger nur in Spuren, zum Teil höchstens in literarischen Resten
verfolgen lassen, tritt am Kcirm Abu Mina erstmalig die fast unberührte Parallele
zu jenen Triumphen altchristlicher Architektur vor Augen, Werken, die nur im
Lichte des noch von Hellas^ klassischem Geiste umwehten Orients verständlich
werden. Den Besucher der Menasstadt, der von einem der Trümmerhügel aus
im Ruinenzentrum den Blick über die zentrale Baugruppe der Heiligtümer in ihrer
Gesamtheit vertieft, frappiert die einheitliche Wirkung symmetrisch hingegossener
Mauerzüge, Säulenreihen, blendender Marmormassen. Er ist gegenüber diesem
monumentalen Grundriß gezwungen, Vergleiche zu ziehen. Fragen nach der kunst¬
historischen Eingliederung dieser Bauten wachsen sich aus nach der Prinzipien-
frage von der Entwicklung des altchristlichen Kii'ehenbaues und des basilikalen
Stiles, Hinweise auf typische Verwandtschaften, z. B. der Arkadiusbasilika der
Menasstadt und der römischen Paulskirche fuori le mura, rechtfertigen auch
hier den von Josef Strzygowski siegreich in die Arena getragenen Streitruf:
Orient oder Rom?

An zweiter Stelle wäre das nicht minder unerwartet reiche kulturhisto¬
rische Resultat unsrer Ausgrabungen zu betonen: die Auffindung eines eigen¬
artigen christlichen Kulturzentrums, nämlich einer Wallfahrtsstadt von damals
internationalem Gepräge. Um den Tempel des ägyptischen »Lourdes^^ am Knoten¬
punkt antiker Karawanenstraßen in der Wüste, mit seiner merkwürdigen Pilger-
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