Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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551.
 

551. Archaische männliche Statue.

Athen^ Akropolismuseum,
 

N° 633 des Kataloges von Kastriotis (1895).
Collignon, histoire de la sculpture grecque I,
p. 258, fig. 127. Lepsius, griechische Marmor¬
studien, p. 70, n° 19. 1886 auf der Nordseite
der Akropolis gefunden. Inselmarmor0- Höhe
ganz wenig über 1 m; also war die Statue unter-
lebensgross. Sie steht mit beiden Beinen gleich-
massig auf; das linke setzt sie etwas vor. Der
rechte Unterarm war horizontal vorgestreckt und
besonders eingesetzt; der Marmorzapfen, der ihn
hielt, ist zum Teil noch im Oberarm vor¬
handen. Auch die gesenkte linke Hand war ein¬
gezapft. Der Kopf war, nach der stärkeren An¬
spannung des rechten Kopfnickers zu urteilen,
etwas nach der linken Körperseite gewendet.
Die Bekleidung besteht, wie mir scheint,
aus doppeltem Chiton und Himation. Der
Halsstreifen des oberen, schwereren Chitons
sowie der untere Rand seines rechten Ärmels
und die Streifen beiderseits von der Naht am
rechten Oberarm sind mit dem bei¬
stehend skizzierten Ornamentmotiv
geschmückt. Die in der Zeichnung
schraffierten Teile desselben sind
noch jetzt mit pastoser grüner Farbe gefüllt,
während die Punkte, das liegende Kreuz und
das innere Oblong zur Zeit als einfache Ver¬
tiefungen sich darstellen, die aber auch jeden¬
falls ursprünglich mit Farbe bedeckt waren. Am
unteren Teile des rechten Oberarms, unterhalb
des Ärmelabschlusses des oberen Chitons, er¬
kennt man das feinere Gefältel des leichteren
unteren Chitons. Der Saum des in Zickzack
laufenden Mantelrandes, der plastisch abgesetzt
ist, scheint einfach gleichmässig mit grüner Farbe
gedeckt gewesen zu sein; wenigstens ist ein be¬
sonderes Muster jetzt nicht mehr zu erkennen.
Auch unter dem rechten Arm und auf dem
Rücken ist dieser grüne plastische Streifen des
Himations angegeben, und entsprechend kehrt
er endlich auch am unteren Abschluss de^ Ober¬
gewandes wieder, wo aber nur ein kleines Stück
 

1) Die folgenden Angaben  nach fr). Mitteilung von
Paul Herrmann.
 

erhalten ist. Über dem plastischen Streifen ist
dort noch eine Reihe nur aufgemalter grüner
Tupfen angegeben.

Der Torso, in seiner dichten Verhüllung,
macht auf den ersten Blick den Eindruck, als
stamme er von einer weiblichen Statue. Aber
das Genital, das unter dem Gewände durch¬
scheint, und dazu die flache Brust lassen keinen
Zweifel über das Geschlecht des Dargestellten.
Die Statue wird ein Weihgeschenk, vielleicht
eines Priesters, sein. Das unterlebensgrosse
Format ist ihr mit einigen weiblichen Figuren
von den Ausgrabungen der Akropolis gemein.
Ihr Stil ist der vollsaftige, gesunde, rein attische,
vom Ausgange des 6. Jahrhunderts^), und noch
frei von der gekünstelten, manierierten Über¬
zierlichkeit jener Werke, die attische Künstler
in der nämlichen Zeit in Nachahmung ostgriechi¬
scher, auf den Inseln gefertigter Statuen ge¬
schaffen haben. Schon aus diesem Grunde ist
die Vermutung, die ich lange Zeit gehegt habe,
der verloren gegangne Kopf unsres Standbildes
sei in dem auf Tafel 552 abgebildeten sog.
Rampinschen Kopf des Louvre erhalten ge¬
blieben, hinfällig. Derselbe gehört offenbar auf
einen mit viel grösserem Raffinementund grösserer
technischer Bravour gearbeiteten Torso. In dem
„Argumentum" von C.Jörgensens Abhandlung
„Kvindefigurer i den archaiske graeske Kunst"
(Kjöbenhavn 1888), p. 131, Anm. 1, finde ich
die anscheinend auf unseren Torso bezügliche
Vermutung, sein Kopf sei im Akropolismuseum
erhalten in Saal VI, Schrank 1, oberstes Fach
n° 323, seine Füsse ebenda, Schrank 4, Fach 3,
n° 3. Eine Nachprüfung dieser Combination
Seitens der athenischen Fachgenossen ist er¬
wünscht; da der Torso durch seine Darstellung
in dem Denkmälervorrate der Akropolis einzig
dasteht und auch seine Grössenverhältnisse un¬
gewöhnliche sind, kann überhaupt ja nur eine
ganz geringe Zahl von Köpfen für die Frage
nach der Zugehörigkeit in Betracht kommen.

2) Collignon a. a. O. sieht meines Erachtens ohne
örund in der Statue ein Werk der kleinasiatisch-griechi-
scheh Kunstschule.
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Taf. 551.
 

Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G.
München 1903.
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