Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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554.
 

554. Bronzestatuette des Herakles.

Rom, Villa Albani.
 

Die Statuette* war ehemals im Besitze der
Giustiniani, von denen sie der Cardinal Albani
für 500 scudi kaufte, wie Winckelmann in der
Geschichte der Kunst VII, 1, § 21 mitteilt. In
der ältesten Publication, der Galeria Giustiniani
[Rom 1640], I, Taf. 13, die bei Clarac, Musee
de sculpt. pl. 802, n^ 2015 nachgestochen ist,
trägt die linke Hand einen Apfel, der jetzt
fehlt. Vermutlich war er modern ergänzt und
konnte deshalb leicht entfernt werden. Die
Statuette ist vorzüglich erhalten. Nur die ehemals
eingesetzten Augensterne fehlen. Die Beschrei¬
bung Roms III, 2, S. 315, n^ 3 giebt an, dass
Löwenhaut und Keule neu seien, was aber schon
an der Abbildung als sicher falsch zu erkennen
ist. Ergänzt sind vielmehr nur — dies aber
wohl sicher, obzwar Heibig, Führer ^ II, n^ 798
ein „vielleicht" dazusetzt — der Felsklotz
unter der Keule, der ganz empfindungslos
modelliert ist, und die Plinthe. Über die Höhe
der Figur finde ich nur die alte Angabe bei
Clarac: 2 palmi 9 oncie = 0,615 m. Nach Ame-
lungs Mitteilung ist die Statuette, wie zu erwarten,
hohl gegossen. Löwenhaut und Keule sind ohne
Zweifel für sich gearbeitet und angesetzt.

Der Held lehnt sich mit der linken Achsel
auf seine Keule, über die er das Löwenfell ge¬
hängt hat. Mit der Linken hält er einen Gegen¬
stand vor sich hin, den er befriedigt betrachtet;
es kann kaum etwas anderes als die Hesperiden-
äpfel gewesen sein. Wir sehen einen jener Ruhe¬
momente in der Heldenlaufbahn, deren die
bildende Kunst verschiedene ausgestaltete, ohne
dass die Sage sie vorgebildet hatte. Schon das
frühe fünfte Jahrhundert schafft Derartiges (vgl.
Furtwängler in Roschers Lexikon der Mythol. I,
Sp. 2160). Am bekanntesten ist die Metope des
olympischen Zeustempels, wo der Held schwer
ermüdet den Kopf in die Hand stützt. Die
jüngere, entwickeltere Kunst verzichtet auf ein
so starkes Ausdrucksmittel und stellt sich das
Problem, das Ruhebedürfnis und die Müdigkeit
an der aufrechten Gestalt zu zeigen. Auf den
Plätzen und Strassen Athens sahen die Künstler
hundertmal am Tage, wie sich die Männer im
Reden und Politisieren mit der Achsel auf ihre
langen Stäbe lehnten, und sie haben dies sprech¬
ende Motiv auf Vasen und Reliefs in mannigfacher
Weise festgehalten,  in  der  schönsten  Fassung
 

vielleicht auf dem Parthenonfriese (Ostseite,
Michaelis, Parthenon Taf. 14, IV, 19; 22; 23;
VI,  43;  44;  46 = Hirth-Bulle,   Stil Taf. 91).

In der Freiplastik begegnet uns das Motiv
im 5. Jahrhundert zuerst bei Asklepios, dem
wandernden Arzte. Sodann bei Herakles. Paul
Herrmann hat im Jahrbuch des archaeologischen
Instituts, IX, 1894; Anzeiger S. 25 einen Torso
der Dresdener Sculpturensammlung bekannt ge¬
macht, dessen Typus jetzt in einer noch unver¬
öffentlichten Statue der Glyptothek Ny-Carlsberg
in besserer Erhaltung vorliegt. Die linke Schulter
ist mit der Keule, ohne Löwenfell darüber, unter¬
stützt, und der linke Fuss ist fast ganz entlastet
zurückgestellt, sodass das Gewicht des Körpers
auf der weit ausbiegenden rechten Hüfte ruht,
auf die sich die rechte Hand auflegt. Der Kopf
ist gerade aufgerichtet und ein wenig zur linken
Seite gewandt, der Blick geht ins Weite. Die
Anwendung des polykletischen Schreitmotivs,
das keineswegs durch die übrige Haltung ge¬
fordert wird, veranlasste Herrmann, die Statue
dem polykletischen Kreise zuzuweisen. Jedenfalls
haben wir es hier mit der frühesten statuarischen
Fassung des Gedankens zu thun.

Die Albanische Statue zeigt die nächste Stufe.
Sie ist keineswegs eine einfache Variante des
Farnesischen Herakles, als welche sie bisher be¬
handelt worden ist, sondern eine sicher vorlysip-
pische Schöpfung, wie aus den untersetzten
Proportionen auf den ersten Blick hervorgeht.
Sie ist auch nicht zu den Kleinbronzen zu stellen,
welche ein monumentales Vorbild mehr oder
minder frei wiedergeben, sondern gehört zu jener
Gattung mittelgrosser Bronzen (von etwa 60 cm
bis 1 m Höhe), welche ein grösseres Werk getreu
kopieren wollen. Ich nenne als die bekanntesten den
Apollon Sauroktonos der Villa Albani, den neuer¬
dings aus spanischem Privatbesitze erworbenen
Hypnos des Berliner Museums, den Neapler
Narciss (Bienkowski,Österr. Jahreshefte I, 1898,
S. 189). Nach diesen Analogien wäre schon
zu vermuten, dass auch der Herakles Albani die
getreue Replik eines grossen Werkes ist. Es wird
zum Glück direct bewiesen durch das Vorhanden¬
sein eines lebensgrossen Marmortorsos, ehemals in
Catajo, jetzt wohl mit in Wien, den wir nach Arndt-
Amelungs Einzelaufnahmen n^ 64 umstehend
abbilden; auf die Übereinstimmung hatte schon
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Taf. 554.
 

Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G.
München 1903.
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