Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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süs¬
 

ses.   Weibliche Statue.

Eleusis, Museum.
 

Furtwängler, Statuenkopieen I, p. 536 f., mit
Abbildung. Bulle in Arndt-Amelungs Einzel¬
aufnahmen, zu Nr. 1299. Pentelischer Marmor.^)
Höhe der Figur ca. 1,30 m, Höhe der Plinthe
0,40 m, Breite 0,92 m, Tiefe 0,55 m. Von der
linken Körperseite ist ein grosses Stück ab¬
gesplittert; dadurch wird der Eindruck hervor¬
gerufen, als sei die rechte Hüfte etwas heraus¬
gedrückt. Die herabhängenden Arme waren
beide besonders angesetzt; für den linken sitzt
das Zapfenloch vertical in der Masse des Armes,
für den rechten horizontal unter der Ansatz¬
fläche des Armes im Kern der Statue. Durch
kleine Klammern, je eine auf jeder Seite, deren
obere Zapfenlöcher und Kanäle an der Aussen¬
seite der Arme erhalten sind, werden diese noch
einmal gehalten, und zum dritten Male durch
Verzapfung auf den Hüften, links in einem
runden, rechts in einem oblongen Bohrloch. Der
Kopf war besonders aufgesetzt. Nach den Haar¬
resten im Nacken zu urteilen, war er alter¬
tümlichen Stiles. Die Gewandung besteht aus
dem fein gefältelten Chiton und darüber dem
schwereren, auf der r. Seite offenen Himation,
das die linke Brust frei lässt und einen ge¬
gürteten, bis zur Scham reichenden Überfall hat.
in der Mitte des Unterleibes ein grosses vier¬
eckiges Zapfenloch (0,08 m breit, 0,06 m hoch,
0,07—0,08 m tief), mit darin sitzendem, beweg¬
lichen Zapfen. Dieser diente offenbar zum
Halten eines schweren Gegenstandes, den beide
Hände vor der Mitte des Leibes hielten und
der wohl mit den Armen aus einem Stück ge¬
arbeitet und mit diesen zusammen eingezapft war.
Eine ebenfalls in Eleusis erhaltene Mädchen¬
statue archaistischen Stiles2) giebt uns Aufklärung
über diesen Gegenstand: es war ein Becken,
offenbar zur Aufnahme des Weihwassers, mit
dem man sich auch schon im Altertum beim Ein-
 

^) Die folgenden thatsächlichen Angaben nach frdl.
Mitteilungen von Paul Herrmann.

2) Arndt-Amelung, Einzelaufnahmen, 1299 links.
 

tritt in heilige Bezirke besprengte.3) Die Statue
diente also praktischen Zwecken des Cultus.

Die oblonge Plinthe der Figur ist mit Bleiver-
guss in eine hohe Basis eingelassen, die ungetrennt
erhalten ist. Die Vorderseite dieser Basis ist
in ihren obern zwei Dritteln geglättet, während
unten ein roh gespitzter Rand vorspringt, der
bei der ursprünglichen Aufstellung wahrschein¬
lich nicht sichtbar war. Dicht am obern Rande
dieser Vorderseite die Inschrift 'A^r| Jvaioov 6
brijucq Toiv t>8[oiY in schönen Charakteren des
4. Jahrhunderts vor Chr.4) Die Statue war also
den beiden grossen Göttinnen von Eleusis, der
Demeter und der Kora, geweiht und stand wohl
im Bereiche ihres Hauptheiligtumes. Im Museum
von Eleusis liegt eine zweite entsprechende
Basis, mit ausgebrochner Figur, und mit Resten
der nämlichen Inschrift: es waren also an¬
scheinend zwei entsprechende derartige Becken¬
trägerinnen aufgestellt, vielleicht zu beiden Seiten
des Einganges zum Heiligtum.

Die Statue ist ein charakteristisches Beispiel
des archaisierenden Stiles im 4. Jahrhundert
vor Chr. Der Stand der Beine mit straffen
Knieen und vollen Sohlen, dann die Anlage
der unteren Partie des Himations, wohl auch
der Kopftypus, sind der archaischen Kunst ent¬
lehnt. Diesen altertümlichen Zügen steht die
freie Bildung des Himationüberschlages, be¬
sonders die Faltengebung an Brust und Gür¬
tung, entgegen. Die tektonisch-decorative Be¬
stimmung der Figur wird die Beimischung der
strengeren Formen empfohlen haben. Die Ar¬
beit der Statue ist ziemlich gering, und die
schlechte Erhaltung der stark verscheuerten
Vorderseite steigert den ungünstigen Eindruck
des an sich besonders interessanten Werkes.
 

3)   Vgl. die Figuren in Neapel, Arndt-Amelung 532,
und Stockholm, Lagrelius IV, 22 = Clarac 750, 1837, so¬
wie den naxc, xct^^oß^) OQ t6 TtepippavTi^piov e'xei, auf det
Akropolis, von Lykios, dem Sohne des Myron.

4)   So datieren auch Furtwängler und Bulle a. a. O.,
sowie Hiller von Gärtringen brieflich.
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Tafel 563 unten.
 

Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G.
München  1903.
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