Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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567-
 

567.   Kopf des Diskobolen Lancelotti.

(Nach dem Abguss.)
 

Fig. 1

Thatbestand: Von den uns erhaltenen Werken,
welche auf den DIskobol des Myron (Overbeck,
Schriftquellen, n° 533, 544 f.) zurückgehen'),
geben nur zwei Statue und zugehörigen Kopf.

Für die Frage nach den aus den Copieen zu
erschliessenden Einzelformen und dem Gesammt-
charakter des originalen Kopfes scheidet das eine
Werk, die Bronzestatuette des Münchener Anti-
quariums (Christ, Führer S. 57,353; hier Fig. 1) ^)
aus. Denn hier hat ein Copist nicht nur die flächige
Ruhe der Körperformen durch stärkere Umschrei¬
 

bung der einzelnen Muskelpartieen
ins Runde und in eine derbe Con-
trastwirkungvon Höhen und Tiefen,
Licht und Schatten gezogen, sondern
sein lysippisches Kunstideal noch
stärker dem Kopf aufgenötigt, so
dass aus diesem etwas durchaus
Neues geworden ist. Das Antlitz
ist erregt, unruhig, das Haar derb
kraus, die Structur des Schädels
verändert, die Linienführung zer¬
stört, die formale Wirkungsrolle des
Kopfes innerhalb des Ganzen auf¬
gehoben.

Der Kopf aber der anderen
Copie, des Diskobolen Lancelotti
in Rom (Matz-Duhn, antike Bild¬
werke I, 1098; Brunn-Bruckmann
256), ist seit Jahrzehnten dem Stu¬
dium so viel wie entzogen. Da lässt
uns nun eine glückliche Entdeckung
A, Furtwänglers über die Launen
eines sein Eigentumsrecht miss¬
brauchenden Besitzers hinweg¬
kommen*). Wir geben den Kopf des
Diskobolen Lancelotti nach dem
durch den Pariser gewonnenen
Abguss in München.
 

') Zu der durch H. Bulle zusammen¬
gestellten   und   kritisierten   Replikenreibe
(Arndt-Amelung, Einzelaufnahmen II, Text
zu n° 500,  S. 41 F.) ist hinzuzuFügen  der
Torso im Museum von Toulouse, den ich
aus eigener Anschauung kenne, eine sehr
sorgFältige,  auf  das  Detail  gehende, und
daher etwas trockene Copie.   Vortrefflich
sind  an  ihr die Partieen der Rippen und
Sägemuskeln   der  rechten Seite  wie der
Kapuzenmuskeln hinten.    Das Gelock der Pubes ist sehr
scharf und bronzemässig gearbeitet, in Obereinstimmung
mit der Haararbeit des Berliner Kopfes.

*) Siehe die Ausführungen H. Bulles in Arndt-Ame¬
lungs EinzelauFnahmen II, Text zu n° 500, S. 42, n° 15. —
Die Augen der Figur sind mit Silber eingelegt. Der kleine
Finger der 1. Hand ist nur zur HälFte erhalten. Die in
der Abbildung deutlichen Unreinheiten des Conturs an der
1. Schulter und dem 1. Oberarm rühren von Verletzungen,
tieFen, mit einem scharFen Instrument gezogenen Furchen,
her, welche die Figur wohl nach ihrer AuFfindung erlitt.
") A. Furtwängler, zum Diskobol Lancelotti, Sitzungs¬
berichte der bayer. Akademie 1900, S. 705.
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Taf. 567.
 

Verlagsanstalt F. Bruckmann A -G.
München 1904.
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