568.
568. Kopf des Herakles.
London, British Museum.
A. H. Smith, catalogue of sculpture III,
n« 1734 (unter der Presse; Einsicht in die Druck¬
bogen verdanke ich A. S. Murray). Specimens
of ancient sculpture I, Taff. 9 und 10. Ancient
marbles of the British Museum I, Taf. 12. Furt¬
wängler, Meisterwerke, p. 354 ff., mit Abb. 47.
Derselbe in Roschers mythol. Lexikon s.v. Hera¬
kles, Sp. 2163. Vaux, Handbook (1851), p. 190,
T. 75 (mit Abb.). Cook, Handbook (1903), p. 56.
1769 im Pantanello der Hadriansvilla zu
Tivoli gefunden, bei Ausgrabungen Gavin Ha¬
miltons^). Später in Sammlung Townley.
Colossaler Maassstab: 0,52m hoch, soweit
antik. Pentelischer (?) Marmor. Vorzüglich er¬
halten; nur das Bruststück, das rechte obere
Augenlid, das Unterteil der Nase und die Ohren¬
ränder sind ergänzt. Oberfläche durch Wetter
angegriffen; nicht geputzt. Der Hinterkopf ist
weniger sorgfältig ausgearbeitet. Die Brauen
sind plastisch angegeben. Der Kopf wendet
und neigt sich zur linken Schulter. Im Nacken
links Stützenrest, wohl für die geschulterte
Keule.
Furtwängler hat früher in diesem Kopfe das
Product einer späten, stilmischenden Kunst¬
richtung gesehen, die altertümliche Züge mit
jüngeren Elementen vermengt habe, hat in¬
dessen diese Ansicht in seinen „Meisterwerken"
zurückgenommen und in dem Kopfe die Kopie
eines myronischen Werkes vermutet. Da seine
frühere Datierung noch heute namhafte Ver¬
teidiger findet, verlohnt es sich, die Einwände
zu prüfen, die gegen die Entstehung des Kopfes
in myronischer Zeit vorgebracht werden. Die¬
selben richten sich vor Allem gegen die zu leb¬
hafte Modellierung der Stirn, die im 5. Jahr¬
hundert unerhört sei, dann gegen die Kürze des
Untergesichtes, die in keinem Verhältnis zu der
Ausdehnung der oberen Partien stehe, und gegen
die Breite des Halses, auf den ein beträchtlich
grösserer Kopf gehöre — ein derartiges Ver¬
hältnis von Kopf zu Hals wie hier sei lysippisch,
nicht myronisch. Keiner dieser Gründe scheint
mir stichhaltig. Denn die kurzen Proportionen
von Hals zu Kopf sind absichtlich gewählt, um
durch sie die körperliche Kraft und Mächtigkeit
des Gottes anzudeuten, wie wir ja auch oft im
Winnefeld, die Villa des Hadrian, p. 158.
Leben bei physisch brutalen, durch grosse Mus¬
kelstärke ausgezeichneten Menschen einen auf¬
fallend kleinen Kopf finden, der durch einen
ganz kurzen Hals mit dem kräftigen Körper
verbunden ist. Dass aber bereits der Mitte des
5. Jahrhunderts eine solche Charakteristik nicht
fremd war, lehrt u. A. die auf den beiden nächst¬
folgenden Tafeln abgebildete Heraklesstatuette,
die wohl Niemand im Verdachte des Stilgemisches
haben wird. Oder, auf anderem Gebiete, der
Herakles auf dem Antaioskrater des Euphronios.
Der Einwurf aber, dass das Untergesicht für
die Stilistik der Mitte des 5. Jahrhunderts zu
kurz, die Stirn zu stark bewegt sei, erledigt
sich durch einen Blick auf den Kopf des La-
pithen G im Westgiebel zu Olympia ^), der das
nämliche kurze Untergesicht (das ebenfalls offen¬
bar zur Andeutung der rohen Kraftnatur dienen
solP) und eine ähnlich starke Mittelteilung der
Stirn zeigt. Nur tritt am Herakles die Unter¬
stirn in noch stärkerer Schwellung hervor, so
dass beiderseits vom Nasenansatz zwei kräftige
Protuberanzen entstehen. Ist aber das Princip
einer derartigen Stirngliederung von demjenigen
der vorhin erwähnten Heraklesstatuette so we^
sentlich verschieden und in der Mitte des 5.
Jahrhunderts undenkbar? zumal wenn wir den
Charakter der vorliegenden Kopie in Betracht
ziehen, die offensichtlich nicht das Werk eines
auf ängstliche Treue im Einzelnen bedachten
Arbeiters ist? ist etwa die grosse Asklepios-
statue der Uffizien, die die Hand der Hygieia
auf der linken Schulter hat^), nicht die Kopie
einer Schöpfung des 5. Jahrhunderts, sondern
das selbständige Werk eines römischen, alter¬
tümliche Einzelzüge verwendenden Künstlers,
weil die Modellierung der Stirn über den Stil
der Haar- und Bartlocken und der Gewandung
hinausgeht? Hier beweisen uns die getreueren
Repliken in London, Paris und Florenz doch ganz
klar, dass die reichere Bewegung der Stirn¬
formen ausschliesslich der Hand des Kopisten
zuzuschreiben ist. Geradeso liegt der Fall bei
dem Londoner Herakleskopf, oder vielleicht
2) Treu, Olympia, III, Taf. XXIX, 2 und 3.
^) und das übrigens der Diskobol ganz ebenso hat!
^) Furtwängler, Meisterwerke, p. 396, Fig. 59. Ame¬
lung, Führer, n° 95. Der Kopf: Arndt-Amelung, Einzel¬
aufnahmen 92/93.
Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Tafel 568.
Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G.
München 1904.
|