Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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57I  oben.
 

571 oben.   Relief vom Westfriese des Parthenon.

Athen, noch am Parthenon befindHch.
 

Michaelis 9, VIII, 15; p. 231. Petersen, die
Kunst des Pheidias, p. 287 f. Lüders, Arch.
Zeit. 1873, p. 33. Springer-Michaelis, Handbuch
der Kunstgeschichte \ I, p. 209, Fig. 370. Rie-
disser-Amelung, athenische Plaudereien über ein
Pferd des Phidias, von Victor Cherbuliez (1903),
p. 41.

Michaelis: „Das Ross bäumt sich hoch
auf, unwillig, den Reiter aufzunehmen, welcher,
den rechten Fuss kräftig gegen einen Stein ge¬
stemmt, das Thier mit der Rechten festhält und
die Linke zum Schlage erhebt. Der Chiton war
nach Art einer Exomis nur auf der linken
Schulter befestigt und ist herabgeglitten in Folge
der heftigen Bewegung, welche auch den Mantel
mit seinem gefältelten Saume flattern lässt.
Sohlen und eine Lederkappe vervollständigen
den Anzug, welcher stark an den des einzigen
bärtigen Genossen, 8 [s. oben Tafel 522 unten],
erinnert".

Petersen: „Den rechten Fuss gegen eine
massige Erhöhung stemmend, hält er mit der
Rechten das hoch bäumende Ross am Zügel,
während die hochgehobne Linke wahrscheinlich
die Peitsche schwang i)"-

Lüders: „Das Pferd hat zwei Löcher im
Maul, eines oben, eines unten an der Backe; der
Kopf des Mannes scheint gewaltsam abgeschlagen.
An seinem rechten Bein befinden sich gerade
unterhalb des Kniees drei Löcher, zwei links,
ganz neben dem Schienbein, eines mitten auf
der Wade, offenbar für einen Metallschmuck;
denn auf dem entsprechenden sichtbaren Teil
des linken Beines ist ebenfalls ein Bronzeloch."

Auch an der Mähne des Pferdes unten, gleich
oberhalb des rechten Armes des Reiters, be¬
merkt man ein Loch für Bronzeeinsatz; es diente,
mit denen an Maul und Backe zusammen, zur
Befestigung des Zaumzeuges. Ein weiteres Loch
ferner, das dem gleichen Zwecke bestimmt ge¬
wesen sein wird, anscheinend in der linken
Faust. — Unterhalb des Pferdeschweifes, links
von dem Bruche, anscheinend ein (bisher noch
nicht beachteter) viereckiger oder cylinder-
förmiger Gegenstand. Erneute Untersuchung
des Originals muss darthun, was derselbe be¬
deutet, oder ob er nur zufällige Verletzung des

^) „Vgl. den sog. Kastor des [Londoner] Reliefs
Müller-Wieseler I, 50, welcher auch einen Stecken in der
Linken hält."
 

Steines. — Die Mütze des Reiters besteht aus
Fell und Schweif eines Thieres und ist aus einem
Fuchsbalg gefertigt, wie sie die Thraker der
Kälte wegen trugen (Xenophon, Anab. VII, 4, 4;
Herodot VII, 75). Die nämliche Kopfbedeckung
hat der Reiter Tafel 522 unten (Michaelis 9,
IV, 8), sowie noch einige andre Reiter des
Frieses^). Offenbar eine aus Thrakien über¬
nommene Mode vornehmer junger Athener^). —
Der bärtige Kopf des Reiters ist erst neuerdings
abgeschlagen worden; auf dem Abgüsse, der der
Michaelis'schen Zeichnung zur Vorlage gedient
hat, ist er noch erhalten. — Die Erhöhung, gegen
die der rechte Fuss des Reiters sich stemmt,
ist ein Trittstein, wie sie an den Strassen zur
Bequemlichkeit der Reiter aufgestellt waren ^).
Darnach ist also der Moment des Aufspringens
dargestellt. Das linke (von vorn gesehene) Bein
wird sich im nächsten Augenblicke über den
Rücken schwingen, die Rechte packt scharf den
rechten Zaum des feurigen Thieres und reisst es,
zum bequemeren Aufstiege, zurück, so dass es
hoch sich aufbäumt, die erhobne Linke aber
fasst (wie man aus dem Verlaufe der Bohrlöcher
schliessen darf) den linken, lang gelassenen,
Zügel und zieht ihn ebenfalls zurück''). So
wenigstens glaube ich die, in den heutigen Resten
nicht mehr ganz klare, Situation verstehen zu
müssen.

Die Platte ist eine der schönsten des ganzen
Frieses. Von wunderbarer Vollendung ist die
Composition, der Zusammenschluss der ent¬
gegenstrebenden Kräfte, und von nicht geringerer
die Ausführung im Einzelnen, der lebensprühende,
edle Kopf des Pferdes, die Gewandung des
Reiters. In Erfindung und Arbeit gewiss das
Werk eines ganz grossen Meisters. Ein Jammer,
dass das Relief an seinem jetzigen Standorte dem
sicheren allmählichen Untergange entgegengeht!
 

^) Vgl. Furtwängler, 50. Berliner Winckelmanns¬
programm, p» 160, Anm. 21.

^) Vgl. Furtwängler a. a. C, p. 160 („es ist leicht
verständlich und hat viele Analogieen in neuerer Tracht¬
geschichte, dass man von den barbarischen Reitervölkern
des Nordens ein so kleidsames Detail entlehnte"), und
Heuzey bei Daremberg et Saglio, dictionnaire des anti¬
quites, s. V. Alopekis. Die Kappe führte den Namen
dXroTiexic; oder dXoD7t8X8i\.

*) Vgl. Benndorf, Gjölbaschi, p. 140, Anm. 5. Passow,
Studien zum Parthenon, p. 45.

^) Vgl. Nordfries 13, XXXVIII, 118.
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Taf. 571 oben.
 

Verlagsanstalt F. Bruckmann A.
München 1904.
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