Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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574.
 

574. Büste des Zeus.

Neapel^ Museo nazionale.
 

Inventar 6266. Overbeck, Kunstmythologie
des Zeus, p. 82, n^ 13 (dort, in Anmerkung b,
die ältere Litteratur); Atlas Taf. II, 3 und 4.
A. Mau, Pompeji in Leben und Kunst (1900),
p. 60 ff., mit Figur 23. Derselbe, Führer durch
Pompejis (1898), Titelbild und p. 23.

Gefunden in dem in frührömischer Zeit
vollendeten Tempel des Juppiter in Pompeji.
Vor der Rückwand dieses Tempels erhob sich
eine 3,45 m hohe Basis, auf welcher zweifellos
drei Cultbilder standen. Da nun in dem Tempel
eine Weihinschrift an Juppiter Optimus Maximus,
den Gott des Capitols, zu Ehren Caligulas, aus
dem Jahre 37 n. Chr., sich gefunden hat, so war
das Heiligtum offenbar das Capitolium Pompejis
und der capitolinischen Trias Juppiter, Juno,
Minerva geweiht^).

Ist unser Kopf ein Rest dieser Cultgruppe?
Zur Beantwortung dieser Frage musste das Ori¬
ginal von Neuem daraufhin untersucht werden,
ob es von jeher eine selbständige Büste war
oder erst in neuerer Zeit aus einer Statue zur
Büste zurechtgemeisselt worden ist. Ist das
Erstere der Fall, so muss die Antwort ver¬
neinend lauten; denn aus den Dimensionen der
Basis geht hervor, dass sie Statuen trug. Es
ist aber recht wohl möglich, dass die heutige
Zurichtung der Büste nicht dem ursprünglichen
Zustande entspricht. Denn eine derartige Form
des Bruststückes ist vor dem Jahre 63, der
Verschüttung des Tempels^), auffällig, ja es ist
fraglich — die Beantwortung würde eine ge¬
sonderte Untersuchung erfordern —, ob sie sich
überhaupt durch sichere antike Parallelen be¬
legen lässt. Die Ergänzung des ganzen linken
Büstenrandes (aus Gips) macht es wahrschein¬
lich, dass hier ursprünglich der (weggebrochne
oder besonders angearbeitet gewesne) Mantel
auflag. Kopf und Brust der Statue wären dann
also nach ihrer Auffindung für Museumszwecke
zu einer Büste umgearbeitet worden — es lassen
sich hierzu zahlreiche Parallelen anführen —;
der Körper der Figur mag mit dem Colossal-
torso identisch sein, den man bei der Ausgrabung
des Tempels fand: dieser Torso war, nachdem
der Tempel im Jahre 63 eingestürzt und nicht
wieder aufgebaut worden war, in der Zwischen-

') nach Mau, Pompeji, a. a. O.
^; Mau, Pompeji, p. 55.
 

zeit bis zum Jahre 79 in die Hände von Stein¬
metzen geraten, die in dem Tempel ihre Werk¬
stätte aufgeschlagen hatten und im Begriffe ge¬
wesen waren, eine kleinere Statue aus ihm zu
machen^). Die Statuen von Juno und Minerva
mögen schon vorher auf diese Weise zerstört
worden sein. So spricht, da die Aufstellung
eines zweiten Colossalbildes des Gottes in seinem
Heiligtum auffallend wäre, eine nicht geringe
Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Neapler Kopf
ein Rest dieser Cultgruppe ist. Für die Datie¬
rung der Copie gewinnen wir daraus allerdings
keinen bestimmten Anhalt, da die Baugeschichte
des Tempels nicht völlig klargestellt ist'^).

Ergänzt ist an der Büste ausser dem schon
erwähnten Teile des Bruststückes nach meinen
Notizen der grösste Teil der seitlichen Locken^);
die Nase ist alt. Die Bemalung der Augen hat
sich erhalten und ist auch auf dem Lichtdrucke
kenntlich. Als Material wird von den Einen
carrarischer, von Andern feinkörniger parischer
Marmor, sog. grechetto, genannt^).

Die Maasse sind colossal; genauere Angaben
stehen mir leider nicht zu Gebote^). Der Kopf
ist ausschliesslich auf Betrachtung von vorn
berechnet; der Hinterschädel ist, um Marmor
zu sparen, kaum angedeutet. Dies spricht für
Aufstellung vor einer Wand und unterstützt
die oben dargelegte Vermutung. Die Arbeit der
Büste ist mehr decorativ als eingehend, offenbar
auf Fernwirkung berechnet.

Der Kopf ist eines der ausdrucksvollsten
Bilder des Zeus, die wir haben ^). Er hat ge¬
wiss nicht zu einer sitzenden Statue gehört.
Denn Leben, Energie, feurige Bewegung sprechen
aus seinen Zügen. Er ist gebieterisch zur Seite
und etwas nach oben geworfen und blickt mit
grossen Augen in die Weite.   Gleich züngelnden
 

^) Mau, Pompeji, p. 55.

^) Mau, Pompeji, p. 58 f.

^) bei Overbeck ä. a. O. nicht angegeben.

^) s. Overbeck a. a. O.

') Falls, wie Overbeck angiebt, der Kopf wirklich
mit der von Gerhard-Panofka, Neapels antike Bildwerke,
p. 115, n° 401, kurz erwähnten „Jupiterbüste" identisch
ist, so beträgt seine Höhe (mit oder ohne Büstenfuss?)
3^2 Palm, d. h. etwa (den Neapolitaner Palm zu 26^2 cm
gerechnet) 95 cm.

^) Man lese auch seine vortreffliche Würdigung bei
Mau (Pompeji, p. 60 ff.) nach!
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Tafel 574.
 

Verlagsanstalt  F. Bruckmann A.-G.
München 1904.
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