Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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583 und 584.
 

583 und 584.   Statue eines Mädchens.

Villa Sarsina in Porto d'Anzio-
 

P. Rosa, Notizie degli scavi 1879, S. 16, 116;
tav. I 4. S. Reinach, Repertoire de la statuaire,
II S. 660, 4 u. III S. 193, 6. W. Klein, Praxi-
telische Studien, S. 39 ff. W. Altmann, Jahres¬
hefte des österreichischen archäologischen Insti¬
tutes, VI, S. 186 ff., T. VII. Die Vorlagen für
unsere Tafeln und die Textabbildungen der
Statue konnten Dank der gütigen Erlaubnis des
derzeitigen Besitzers, Principe Don Ludovico
Chigi, hergestellt werden.

Die Figur ist in Porto d'Anzio selbst zu
Tage gekommen. „In den letzten December-
tagen des Jahres 1878, in einer stürmischen
Winternacht, lockerten sich die Schutthaufen,
die in langer Kette längs des Arco Muto auf
den Fundamenten antiker Paläste lagern, und
aus einer bis dahin unsichtbaren Nische fiel von
einer Ziegelbasis die Statue herab ... Die Nische
gehörte ohne Zweifel der Rückwand eines
mächtigen Saales an, der auf das durch grosse
Fundamente von hier abgedämmte Meer hinaus¬
blickte. Jetzt steht von dem einstigen Saale
nur die Nischenwand. Unten sieht man die
mächtigen Constructionen der Fundamente, dar¬
über die pfeilerartigen Wände der Nischen.
Sie sind aus bestem opus reticulatum erbaut
und zeigen die Merkmale der Architektur der
ersten Kaiserzeit. Oben endete die Nische in
Muschelform ... Die Statue ist aus griechischem,
an den Bruchstellen klaren, weissen Marmor
gefertigt, der mit kleinen Kristallen durchsetzt
ist und keine besondere Transparenz besitzt.
Aus einem grossen Block ist der ganze Körper,
soweit er bekleidet ist, samt Füssen, linkem
Arme und Schüssel gearbeitet, während ein
zweiter, kleinerer Block den Kopf samt Hals
und rechter Schulter umfasst. . . Der Marmor
des Kopfstückes ist sicher identisch mit dem
andern, aber von besserer Qualität... Angestückt
war der rechte Arm, von dem noch ein durch
die Oxydierung des Metalldübels gebräunter
Splitter erhalten ist (das Fragment wurde bei
Herstellung unserer Abbildungen mittels eines
Holzpflockes an seiner Stelle befestigt). Es
fehlen der Figur die Nasenspitze, der rechte
Unterarm und ein Teil des linken. Einige Haar¬
locken sowie das Kinn sind bestossen. Von
den Händen sind nur zwei Finger der rechten
erhalten     (Fig.    112/3   bei     Altmann).       An
 

dem Gewände fehlen mehrfach einzelne Stück¬
chen, so der Saum an der rechten Schulter, an
der Mantelpartie der linken, an der äussersten
Vorderfalte. Einige später im Schutte gefundene
Fragmente sind wieder angesetzt, so die unteren
Enden der vorderen äussersten und die der
mittelsten Falte, ferner das Gewandstück des
rechten Oberarmes und ein 0,13 m langer
Splitter des linken Unterarmes mit einem Teil
der Schüssel. Diese besteht nach ihrer Zu¬
sammensetzung jetzt aus drei aneinanderpassen-
den Teilen. Geglättet, wenn auch nicht zu
vollem Glänze, sind Gesicht und Schulter; das
Haar hat einen gedämpften Ton; die Gewandung
ruft durch die, teilweise wie feine Schattierung
wirkenden Meisselstriche einen wirksamen Con-
trast zu der grosszügigen Faltengebung hervor.
Die Füsse sind glatt poliert. Die Tätigkeit des
Bohrers ist bis auf einige Stellen an der linken
Seite des Gewandes verwischt. Die Statue ist
1,70 m hoch und steht auf einer Plinthe, die
0,565 m lang, 0,42 m breit, 0,10 m hoch ist.
Die Plinthe ist rechteckig, aber auf der Rück¬
seite und der links angrenzenden Schmalseite
derartig zugeschnitten, dass die Conturlinie dem
Gewände folgt. Die Schmalseiten haben oben
Saumschlag, die untere Partie ist gerauht. An
der Vorderseite fehlt diese Bearbeitung, es zeigt
sich nur oben eine ganz schmale, geglättete
Kante ^). In römischer Zeit hat man dann die
Plinthe in eine kufenartig vertiefte Basis ein¬
gelassen, in der sie auch heute noch ruht^).
Diese ist in der Mitte geborsten. Die Statue
ist völlig auf die rechte Profilansicht und eine
niedrige Aufstellung berechnet. Dies beweist
die Stellung des Kopfes, die Gewandung, die
Haltung der Schüssel, die nur ein auf gleichem
Niveau mit der Plinthe stehender Beschauer
völlig übersehen konnte, endlich die Vernach¬
lässigung der Rücken- und linken Seitenansicht.
So ist das Gewand auf dem Rücken bis zur
rechten Schulter kaum  angedeutet"  (Altmann).

^) Altmann nimmt an, diese Bearbeitung sei nicht
ursprünglich; vielleicht habe dort einst die Künstler¬
inschrift gestanden. Diese aber müssten wir an der Basis
voraussetzen, und zu ihrer Entfernung ist nicht der mindeste
Grund zu finden.

*) Ob dies wirklich erst in römischer Zeit geschehen
sei, ist zweifelhaft; der Marmor der Basis ist identisch
mit dem der Statue.
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Tafel 583 und 584.
 

Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G.
München 1905.
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