Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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585^
 

585. Bronzestatuette einer Nike.

Neapel, Museo nazionale.
 

Litteratur: Fiorelli, Pompejanarum antiqui-
tatum Historia II, p. 60 f. Museo Borbonico VIII,
1832, Tafel 59 (Finati). Clarac, Musee de sculp¬
ture, Taf. 639, Fig. 1445 B; IV, S. 137. Overbeck,
Pompeji ^ S. 556, Fig. 290. Niccolini, Gase e
monumenti di Pompei II, Taf. 21 (farbig). Friede¬
richs-Wolters, Berliner Abgüsse n^ 1755. Stud¬
niczka, Siegesgöttin, S. 19, Taf. VII, Fig. 36. (Teub-
ners Jahrbücher für das klass. Altertum 1898,
S. 395.) Roschers Lexikon der Mythol. III, 1,
S. 350, Fig. 23 (Bulle).

Bronze. Höhe von der linken Fussspitze
bis zur Haarschleife 0,40; mit den Flügeln 0,50.
Spannweite der Flügel 0,47 m.

Gefunden in Pompeji. Der Originalfund¬
bericht ist abgedruckt bei Fiorelli a. O. und
lautet: „20. Settembre 1822. Mercoledi di questa
settimana .... in una delle botteghe a sinistra
della  nota strada posta a settentrione  dei Foro

civile, si sono rinvenuti i seguenti oggetti......

Unagraziosissima statuetta alata di ottima scul-
tura, alta pal. 1V2, rappresentante una Vittoria,
oppure una Fama, tutta intera, menoche la
metä dei braccio destro e Tindice della mano
sinistra. Questa bella figura rendesi vieppiü
pregevole e rara, per avere in ambedue le braccia
le armille d'oro, ed in quella dei braccio sinistro
vi e tuttavia rimasto la gemma che la guerniva.
Di gemme doveva tenere eziandio gli occhi,
poiche vedonsi al presente gl'incassi ov'erano
situate." Weiter wird berichtet, dass die Suche
nach den fehlenden Stücken vergeblich war.

Jetzt fehlt auch noch der rechte Oberarm
mit dem Armband. Die moderne Marmorkugel,
auf welcher die Figur steht, ist in unseren Ab¬
bildungen entfernt. Ursprünglich war die Sta¬
tuette an einem zwischen den Flügeln befindlichen
Ringe frei aufgehängt, der nach freundlicher
Mitteilung P. Herrmanns, der die Figur auf Arndts
Bitte neu untersucht hat, mit aus der Form
gegossen ist. Die Flügel dagegen sind, wie zu
erwarten, für sich gegossen und angesetzt.

Die Göttin trägt einen Peplos mit langem
Ueberschlag, der nahe unter dem Busen gegürtet
ist und einen kleinen Bausch bildet; die langen
Enden der gedrehten Gürtelschnur flattern aus¬
einander. Auf der linken Schulter hat sich der
Knopf gelöst, so dass der herabgefallene Gewand¬
zipfel die Brust frei lässt.    Am linken Oberarm,
 

dicht über dem Ellenbogen, trägt sie ein breites
Armband aus dünnem Goldblech (an den Ab¬
güssen^) fehlt es), das in der Mitte nach Herr¬
manns Mitteilung mit „einem Knöpfchen aus
rötlicher Masse (Glas?)" geschmückt ist. Fi¬
nati dagegen spricht von einem Smaragd („un
piccolo smaraldo mal concio dal tempo e dal
fuoco"), der Fundbericht allgemeiner von einer
Gemme. Wahrscheinlich ist also der Smaragd
(ebenso wie der rechte Oberarm) einmal bei
einer Umräumung verloren gegangen und dann
durch das Glas ersetzt worden.

Die Attribute der Göttin sind nicht erhalten.
Der verbogene Stab, der jetzt in der Linken
festgelötet ist, scheint zwar wegen seiner Patinie-
rung antik zu sein (vgl. Abb. 4. 5), ist aber sicher
nicht zugehörig. Denn der in allen Einzelheiten
ausführliche Fundbericht erwähnt ihn nicht und
nach Herrmanns Mitteilung lässt der Stab sich
mit der Fingerhaltung nicht vereinigen. Vielmehr
ergaben praktische Versuche am Abguss, dass
die Linke lose einen etwas dickeren Gegenstand
fasste, der sich keinenfalls nach vorne fortsetzte.
Es kann nur ein Palmwedel gewesen sein,
dessen Stil im Innern der Hand steckte, während
der breite Teil nach hinten auf dem Unterarm
auflag, wobei die Blätterenden über den Arm
hinabhingen. An Abb. 2 ist zu sehen, wie günstig
solche weichen Linien wirken würden, ja, dass
sie notwendig sind, um die scharfe Ecke des
Ellenbogens zu mildern. Das Attribut der Rechten
kann nichts anderes gewesen sein als ein Kranz,
den die Göttin dem Sieger entgegenstreckt. Sie
trägt dann diejenigen Abzeichen, die in der
jüngeren Zeit die weitaus häufigsten der Nike
sind. Man vergleiche namentlich das berühmte
Victoriabild in der Curia Julia (Roschers Lex. III,
1, Sp. 354 mit Abb. 24) u. a.

Was die ursprüngliche Verwendung der Figur
anlangt, so wird durch den Fundbericht, den mir
Herr L. Conforti vom Museo nazionale auf meine
Anfrage  nachwies, die Möglichkeit  nahegelegt.
 

^) Es ist nicht ganz sicher, ob die verbreiteten Abgüsse
über dem Original genommen sind, da in Neapel das Ab¬
formen der Bronzen nach Arndts Mittheilung nicht gestattet
wird. Die Nachmodellierung, auf die die Abgüsse dann
zurückgehen müssten, scheint aber, soweit sich durch Ver¬
gleich mit den Aufnahmen feststellen lässt, in allen we¬
sentlichen Dingen durchaus getreu zu sein.
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur.
Taf. 585.
 

Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G.
München 1905.
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