Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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586 und 587.
 

586 und 587.   Bronzewagen von Monteleone.

New York^ Metropolitan Museum.
 

Das grösste und vollständigst erhaltene Werk
archaisch-griechischer Kunst in getriebenem
Metall, das existiert, ist jetzt der Bronzewagen
im Metropolitan Museum zu New York, der zu
Anfang des Jahres 1902 bei Monteleone di
Spoleto, einem Ort im oberen Tale des Corno,
südwestlich von Norcia, im nördlichen hochge¬
legenen Teile des Gebietes der Sabiner, zusam¬
men mit verschiedenen anderen Gegenständen
gefunden worden ist.

Sehr zum Schaden der Wissenschaft wurde
der grossartige Fund leider in gewinnsüchtiger
Absicht verheimlicht und zunächst nach Norcia
und von dort schon um Ostern 1902 ins Aus¬
land gebracht; zu Beginn des Jahres 1903 ward
der Fund in Paris nach New York verkauft^).

Über die Fundumstände ist nichts Näheres be¬
kannt. Die Fundstelle soll am Fusse eines Hügels
bei der Strasse liegen, die von Monteleone nach
Norcia führt. Es ist höchst wahrscheinlich, dass
der Fund aus einem grossen Grabe stammt.

Der Wagen kam in Fragmenten nach New
York und ward dort mit grosser Sorgfalt zu¬
sammengesetzt und aufgestellt. Wir verdanken
die den Abbildungen zu Grunde liegenden Photo¬
graphieen der Gefälligkeit des verstorbenen Direk¬
tors des Metropolitan Museums, General Cesnola.
Ich selbst habe, ebenfalls durch dessen Entgegen¬
kommen unterstützt, im Oktober 1904 den Fund
zu New York in Müsse studieren können. Es
traf sich, dass der Wagen eben, einer Umstellung
wegen, aus seinem Glasgehäuse herausgenommen
war, so dass ich ihn bequem aus nächster Nähe
betrachten konnte.

Die mit dem Wagen zusammen gefundenen
und mit ihm nach New York gelangten Gegen¬
stände, über die in den bisherigen Berichten
noch gar nichts veröffentlicht wurde ^), sind die
folgenden:

1. Besonders wichtig für die Zeitbestimmung
des Fundes ist eine schwarzfigurige attische
Vase, die zu dem Funde gehört. Leider können
wir keine Abbildung derselben vorlegen, da sie
bis jetzt nicht photographiert worden ist.  Es ist
 

^) Vgl. F. Barn ab ei in der Nuova Antologia, vol. 194,
Marzo-Aprile 1904, p. 643 ff.

^) Auch Barnabei a. a. O. spricht nur im allge¬
meinen nach Hörensagen von anderen mitgefundenen
Dingen.
 

eine sogenannte Kleinmeisterschale der Gat¬
tung mit thongrundigem Rande (vergl. meinen
Berliner Vasenkatalog, S. 289 ff.); das auf dem
Rande gemalte Bildchen stellt eine Sphinx dar,
die einen Jüngling unter den Klauen hält. Die
Inschrift auf dem Bauchstreif darunter ist sinn¬
los. Diese Schale ist, nach dem was wir von
der attischen Vasenchronologie wissen, nicht
wesentlich älter als um die Mitte des sechsten
Jahrhunderts zu datieren. Die übrigen Gegen¬
stände, also auch der Wagen, müssen ungefähr der¬
selben Epoche angehören. Dadurch schon ist die
mehrfach laut gewordene Datierung des Wagens
in das siebente Jahrhundert ausgeschlossen; wir
werden sehen, dass auch andere Gründe jene
jüngere Datierung bestätigen.

2.  Ein Bucchero-Gefäss aus zwei übereinan¬
der gestülpten Teilen mit plastischer Dekoration
von Tieren, die aber frei modelliert, nicht aus
Formen gewonnen sind (umstehende Abb. 2).

Die übrigen Funde bestehen aus Metall:

3.  Sogenante „cista a cordoni", gerippte Ciste
von Bronze mit Doppelhenkeln (Abb. 3). Die
früher (von Heibig) aufgestellte Meinung, diese
eisten seien griechischer Herkunft und seien
von Cumae aus verbreitet worden, war gänzlich
verfehlt. Man hat neuerdings erkannt, dass ihre
Heimat wesentlich nördlicher liegt. Es sind diese
eisten aber auch nicht etruskisches Fabrikat;
sie haben ihre Heimat bei der Bevölkerung der
Po-Ebene. Ein Hauptcentrum speziell für die
eisten mit Doppelhenkeln des Typus wie die
unsrige war das Gebiet der Veneter, ein anderes
für die Cisten mit seitlichen Griffen die Gegend
um Bologna. Von der Po-Ebene aus wurden diese
gerippten Cisten, die besonders in der zweiten
Hälfte des sechsten und im fünften Jahrhundert
im Gebrauche waren, weit nach dem Norden
über die Alpen, sowie auch, jedoch in sehr viel
geringerer Zahl, nach Süden verbreitet^). Das
Vorkommen in dem Funde von Monteleone ist
bezeichnend für die Beziehungen dieser Gegend
zu der Po-Ebene, Barnabei^) hat gewiss mit Recht
 

^) Vgl. besonders Marchesetti, necrop. di S. Lucia
185 ff.; Corresp.-Bl. d. Ges. für Anthropologie 25 (1894),
S. 103 ff. H. Willers, die röm. Bronzeeimer von Hem-
moor, 1901, S. 100 f.; andere frühere Literatur s. bei Mau
in Pauly-Wissowa, Reallexicon III, 2604 f.

*) A. a. O. in der Nuova Antologia.
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Taf. 586 und 587.
 

Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G.
München 1905.
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