Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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591. Athenakopf.

Dresden^ Kgl. Sculpturensammlung.
 

Angeblich in Apulien gefunden, seit 1899 in
der K. Sculpturensammlung zu Dresden (Arch.
Anz., 1902, S. 109, n^ 1). Kleine Lebensgrösse^).
Pentelischer Marmor (nach einer brieflichen Mit¬
teilung von R. Lepsius). Einen von Selmar
Werner für das Albertinum gearbeiteten Wieder¬
herstellungsversuch in Gips geben die Text¬
abbildungen Figg. 1 u. 2.

Neigung und Wendung des Hauptes auf der in
jenem Wiederherstellungsversuch ergänzten Her¬
menbrust sind durch eine leise Schwellung am
Ansatz des linken Kopfnickers gegeben. Nicht
zu erklären weiss ich die etwas nachlässigere
Arbeit der rechten Helmseite. Auf Ankittung
und Befestigung eines marmornen Helmbusches
weist die auf Abb. 5 sichtbare, 22 cm lange und
1—1,05 cm breite Abarbeitung des Helmgrates
hin, ebenso ein in deren Mitte befindliches 6 mm
starkes Bohrloch für einen Metallstift. Mittelst
eines zweiten Stiftes mag das hinten frei herab¬
hängende'Ende des Helmbusches an dem Rücken
der Statue befestigt gewesen sein. Grösse und
Form des Busches sind nach dem Vorbilde der
„Trauernden Athena" auf dem bekannten Relief
des Akropolismuseums bemessen worden.

Der Wangenschutz des Helmes ist nicht,
wie gewöhnlich, nach unten hin eckig geschnitten,
sondern abgerundet. Ein Anhalt für die stilisti¬
sche Einordnung unseres Kopfes ist hieraus,
so viel ich sehe, nicht zu gewinnen. Feststehende
abgerundete Wangenschirme scheinen nach Furt¬
wänglers Beobachtungen chalkidischen Ursprungs
zu sein und finden sich, ausser auf den Vasen jener
Gattung, auch auf attischen Gefässen schon des
schwarzfigurigen, häufiger des streng rotfigurigen
Stiles^).    In der Plastik  begegnet diese  Helm-
 

^) Gesamthöhe (Helmscheitel bis Kinn) 0,326 m,
ursprünglich etwa 0,327 m. Breite (an den Haarsträhnen ge¬
messen) 0,173, ursprünglich etwa 0,176 m. Gesichtsbreite
(an den Jochbeinen gemessen) 0,112 m. Gesichtshöhe
(Unterrand der Stirnrolle bis Kinn) 0,145 m, ursprünglich
etwa 0,146 m. Aeusserer Augenwinkelabstand 0,076 m.
Innerer Augenwinkelabstand 0,0235 m. Augenbreite: linkes
0,027, rechtes 0,028 m. Augenhöhe 0,01 m. Nasenlänge
(von der Scheitellinie der Brauen gemessen) 0,063 m.
Nasenbreite 0,029 m, ursprünglich etwa 0,03 m. Unterer
Nasenrand bis Kinn 0,058 m, ursprünglich 0,059 m. Mund¬
breite 0,0395 m.   Halsbruch: Breite 0,102 m. Tiefe 0,112 m.

^) Furtwängler, Archäolog. Anzeiger 1889, S. 91,3;
Olympia IV, S. 170.    Zu   den  dort  angeführten  attischen
 

form meines Wissens nur an dem gefallenen
Krieger des äginetischen Westgiebels. Mit der
Schule von Aegina aber wird niemand unseren
Kopf in Verbindung bringen wollen.

Ganz eigenartig ist die Wiedergabe des Helm¬
futters. Es besteht aus einer Lederkappe, deren
unterer Rand über dem Stirnhaar sichtbar wird.
Die Kappe ist so gross gedacht, dass sie, wenn
der Helm mit Wangen- und Nasenschutz über
das Gesicht gezogen würde, die ganze Höhlung
des Helmkopfes ausfüllen musste. Da er zurück¬
gestülpt ist, schiebt sich das weiche Leder in
den Augenlöchern und um den Nasenschutz
in rundlichen Falten zusammen. Über den
Ohren sind die Seitenlaschen, unter dem Hals¬
schirm der Nackenzipfel der Kappe unter¬
gesteckt — in welcher Weise, tritt in der Er¬
gänzung deutlicher hervor, als an dem beschädig¬
ten Marmor.

Für eine derartig eingehende Darstellung des
Helmfutters ist mir ein zweites Beispiel nicht
bekannt. Auch diesen Zug also weiss ich für
eine stilistische Einordnung unseres Kopfes
nicht entscheidend zu verwerten.

Weiter führt uns die Haartracht. Zunächst
ist offenbar, dass die Einzelbehandlung ausge¬
sprochenen Bronzecharakter zeigt. Dies tritt in
der Ergänzung Werners so schlagend hervor,
dass die Bezeichnung des Dresdener Kopfes als
sehr sorgfältiger Kopie eines Erzwerkes wohl
als gesichert angesehen werden darf. Dies und
die stilistische Treue der Nachbildung wird sich
uns bei näherer Betrachtung immer mehr be¬
stätigen.

Was nun die Gesamtanordnung des Haares
anbetrifft, so lässt sich die Vereinigung von
Stirn- und Nackenrollen mit tief über die Schläfen
herabhängenden, über den Ohren aufgenommenen
Seitensträhnen dieser Form völlig entsprechend
sonst nicht nachweisen. Aber ein Bronzefigür-
chen von Hagios Sostis scheint wenigstens die
Stirnrolle in Verbindung  mit  herabhängendem
 

Vasen des älteren rotfigurigen Stiles vergl. man etwa noch
Hartwig, Meisterschalen, Taf. 12 und 16 (Euphronios); 17,3
(Phintias). Auf ein Beispiel aus der Zeit des schwarz-
figurigen Stiles verweist mich Studniczka in dem Madrider
Amphorenbild, Jahreshefte des Oesterr. Inst. III, 1900,
S. 64, Fig. 6.
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Taf. 591.
 

Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G.
München 1906.
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