Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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592.
 

592, Kopf eines Jünglings.

Roiii;, Villa Albani.
 

In der Halle links vom Hauptgebäude, n^ 48.
Dort „Alexander" genannt. Herme neu, Hals
und Kopfwendung alt. Ungeputzt, und vortreff¬
lich erhalten. Die Nasenspitze leicht bestossen.
Die Augen waren besonders eingesetzt. Die
Arbeit des Kopfes ist sorgfältig, aber reichlich
leer und in den Lockengängen unbeholfen. —
Heibig, Führer^ II, 749a. Furtwängler, Meister¬
werke p. 141, Fig. 28.

Ein mit sehnsüchtig-schwärmerischem Aus¬
druck aufwärts gewandter Kopf, in dem man
vielleicht Apollon oder ein Wesen seines Kreises
erkennen darf.

Frühere Zeiten sahen in ihm das Porträt
Alexanders des Grossen und datierten danach
den Typus an das Ende des 4. Jahrhunderts
vor Chr. Furtwängler hat ihn mit Recht
um 100 Jahre hinaufgerückt. Die einfachen und
grossen Flächen von Wangen und Stirn, die schar¬
fen Begrenzungslinien des oberen Augenhöhlen¬
randes und des Nasenrückens, die zurückhal¬
tende Modellierung der Umgebung des Auges,
das vom Wirbel gleichmässig ausstrahlende Haar
sind dem Stile der lysippischen Zeit fremd. Und
auch für den Lockenkranz mit dem unsym¬
metrischen Fall der einzelnen Strähnen, der
für die Verfechter des späteren Ansatzes jeden¬
falls das bestimmende Merkmal war, hat sich
durch Untersuchungen der neueren Zeit^) eine
ganze Reihe von Analogieen aus dem 5. Jahr¬
 

hundert nachweisen lassen. Auf den ersten
Blick scheint der Kopf sich zu Werken praxite¬
lischer Zeit und praxitelischen Kunstcharakters
zu stellen, dem ausruhenden Satyr, dem „ Adonis"
in Neapel^), dem Eubuleus. Aber man lege die
Abbildungen dieser Köpfe neben unsre Tafel,
um die Unterschiede zu erkennen! Bei grosser
äusserer Ähnlichkeit erweist sich in allen Einzel¬
formen der Albanische Kopf als das Erzeugnis
einer früheren, strengeren Periode.^) Die Werke
verhalten sich zu einander etwa wie die Arbeiten
von Vater und Sohn. Die Elemente der Jüngern
Kunst liegen, in gebundner Form, schon in dem
Werke des Älteren vor. Es sind uns, wie es
scheint, noch einige Schöpfungen'^) dieser eigen¬
artigen Individualität erhalten, die unter den
Akademikern der nachphidiasischen Epoche an¬
regend und befreiend gewirkt haben muss. Furt¬
wängler vermutete, dass sie mit dem älteren Praxi¬
teles zu identificieren sei; seine Gründe für diese
Zuteilung haben sich aber als unzureichend er¬
wiesen.
 

^) Furtwängler, Meisterwerke, p. 128 ff. — Herrmann
in Arndt-Amelungs Einzelaufnahmen, Serie IV, p. 63f.

^) Einzelaufnahmen 522/3.

^) Besonders lehrreich der Vergleich mit dem Profile
des Eubuleus bei Heydemann, Marmorkopf Riccardi,
Tafel II.

^) Furtwängler, Meisterwerke,  p. 128—143; p. 668 ff.
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Tafel 592.
 

Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G.
München  1906.
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