Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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593-
 

593. Kopf der Aphrodite.

Rom, Palazzo Caetani.
 

Matz-Duhn, Zerstreute Bildwerke in Rom,
n^ 797. Friederichs-Wolters, Bausteine, n^ 1454.
Furtwängler, Meisterwerke der griechischen Pla¬
stik, S.636 ff., Taf. XXX (nach dem Abguss). von
Duhn, Kurzes Verzeichnis der Abgüsse nach ant.
Bildwerken im archäol. Institut d. Univers. Heidel¬
berg, no 335. Die photographischen Aufnahmen
für unsere Tafel konnten Dank der gütigen Er¬
laubnis der Fürstin Caetani hergestellt werden.

Über die Herkunft des Kopfes, der zum Fidei-
commissbesitze der Caetani gehört, ist nichts be¬
kannt. In der Zeit der Renaissance ist er ge¬
zeichnet worden; die Zeichnung befindet sich
heute in Windsor (IX, 52; vgl. Matz-Duhn a. a.
O. III, S. 293). Die Erhaltung des Marmors ist
vorzüglich; nur ein unbedeutendes Stückchen am
Rande des rechten Ohres ist abgesprungen. Der
Bruch zeigt massig grosse, weisse Krystalle, wäh¬
rend die Oberfläche einen warmen, an einigen
Stellen goldgelben Ton angenommen hat. Auf
der rechten Wange wird ein brauner Fleck sicht¬
bar, wohl ein Rostflecken (er wurde bei der Auf¬
nahme leicht überpudert); ein anderer am rechten
Schulteransatz vorn. Der Kopf ist etwas über-
lebensgross. Danach zu urteilen, dass der Nacken
und der Ansatz von Brust und Schultern mit
ausgeführt sind, und nach der Art des'Abschlusses
unten war der Kopf bestimmt, in eine Statue ein¬
gesetzt zu werden. An der rauhen Unterseite
finden sich Reste einer Inschrift (Fig. 1), über die
 

Fig. 1.

Hülsen freundlichst Folgendes mitteilt: „Zum
Einlassen des Büstenfusses ist ein grosses Loch
eingeschnitten, das den Hauptteil der Inschrift zer¬
stört hat (unsere Abbildung giebt den Erhaltungs¬
zustand nach Hülsens Copie). Das Zeichen rechts
 

von diesem Loche sieht aus wie ein sehr ver¬
zogenes, cursives R, Aber man könnte auch
denken, es sei von dem Andern zu trennen und
eine Inventarnummer, 12 oder 21, in Schrift des
siebzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts. Die
Buchstaben links von dem Loche, aus denen sich
übrigens nichts ergiebt, sind ihrer Form nach,
wenn überhaupt in antiker Zeit, nicht vor der
römischen Kaiserzeit eingemeisselt worden."
Keinesfalls ginge es an, hier etwa eine Künstler¬
inschrift zu vermuten, da die ganze rauhe Unter¬
seite der Bestimmung des Künstlers zufolge den
Blicken entzogen bleiben sollte.

Der Kopf wendet und neigt sich zu der er¬
hobenen linken Schulter. In seinen Zügen malt
sich keine momentane Erregung; glückliche, vor¬
nehme Ruhe ist über sie gebreitet; weiches, lie¬
benswürdig hingebendes Wesen spricht aus dem
Blick der leise verschleierten Augen, dem Aus¬
druck der schwellenden, leichtgeöffneten Lippen,
der wundervollen Neigung des ganzen Kopfes. Die
Formengebung hat bei aller Zartheit etwas sehr
Einfaches, Bestimmtes, womit die Schlichtheit
der Haarbehandlung in vollem Einklang steht;
sehr schön wirkt über dem schlank emporstei¬
genden Antlitz die breite und hohe Wölbung des
Schädels. Die Ausführung ist fein und schlicht,
entbehrt aber doch der vollen Frische, die wir
bei einem Originalwerk erwarten dürften; man
wird das Rechte treffen, wenn man die Entstehung
des Kopfes in augusteischer Zeit annimmt. Sein
Original aber ist zweifellos ein Werk des vierten
Jahrhunderts gewesen; dort, neben den Aphro¬
diten des Praxiteles, ist sein Platz.

Eine andere, in einzelnen Zügen noch bessere
Wiederholung wäre nach einer Mitteilung von
M. Mayer (bei von Duhn) in Ripatransone (süd¬
lich von Ancona). Längst bekannt ist dagegen
eine dritte, die an Wert der Ausführung sehr
viel geringer ist, aber den Vorzug hat, ungebrochen
auf ihrem Körper zu sitzen: der Kopf der Venus
von Capua im Museum zu Neapel (Brunn-Bruck¬
mann, Denkmäler, 297). Geringe Abweichungen
bestehen nur darin, dass dort noch einige Löck¬
chen in den Nacken fallen und dass die Göttin
statt des einfachen Haarbandes ein hochaufragen¬
des Diadem trägt; sicher hat man in dem Schlich¬
teren mit Recht das Ursprüngliche vermutet.
Wenn aber der römische Kopf zum Einsetzen
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Taf. 593.
 

Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G.
München 1906.
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