Brunn, Enrico, Denkmäler griechischer und römischer Sculptur

(München :  F. Bruckmann,  1888-1947.)

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595-
 

595.   Fragmente eines römischen Reliefs.

München, Privatbesitz.
 

Material: grobkörniger, weisser Marmor.
Herkunft: nach durchaus glaubwürdigen An¬
gaben Avellino bei Neapel, wo die Frag¬
mente vermauert gewesen sein sollen. Die An-
einanderpassung der beiden Hauptstücke gelang
mir erst an der Hand von Abgüssen ^). Es
ergab sich danach eine Platte von 1,25 m
Länge ^) mit senkrechten Schnittflächen auf beiden
Seiten für die anstossenden Platten. In der
linken Schnittfläche ist ein kleines Zapfenloch
erhalten. Zu der gleichen Darstellung gehört
ausserdem das Fragment eines Unterschenkels
mit einem Stück Reliefgrund, das aber nicht
direct an eines der übrigen Stücke anpasst.

Auf einem Felsen sitzt vor einem Dreifuss
Apollo mit entblösstem Oberkörper. Er stützt
mit der Linken die Lyra auf den Schenkel, die
Rechte mit dem Plektron ruht lässig im Schooss.
Von seinem Haupte sind nur die Umrisse des
Hinterkopfes erhalten, die jedoch die übliche
Haartracht mit dem Knoten deutlich erkennen
lassen. Der Blick des Gottes war auf das vor
ihm sich ausbreitende Meer und die Schifffe
gerichtet, von denen Teile auf der vorliegenden
Platte erhalten sind. Man sieht die Reste eines
Schiff^shinterteils, nämlich den mit einem See¬
stern verzierten Hintersteven, das Steuerruder
und ein kleines Stück der Steuerruderpforte.
Von einem zweiten Fahrzeug ist unten wieder
der Hintersteven erhalten, dann eine aussprin¬
gende Gallerie mit vorn abgebrochenem Rand,
auf welcher ein schildartiger, in Felder einge¬
teilter Gegenstand ruht, der sich an den oberen
Ausläufer des Vorderstevens, das smöeiov, an¬
lehnt. Zwischen den beiden Schifften wird Wasser
sichtbar. Eine Marmorstütze, von der ein Rest
neben dem Steuerruder erhalten ist, verband
die beiden Fahrzeuge. Links von dem Felsen
des Apollo sind drei Männer in römischer Tracht
dargestellt,   die  sich  in  einem   Zuge  bewegen,
 

^) Ein zusammengesetzter Abguss befindet sich im
Münchener Gipsmuseum; am Original ist die Vereinigung
der Fragmente untunlich, weil dieselben durch ungleich-
massige Absägung auf der Rückseite auf verschiedene
Stärke gebracht worden sind. Der Marmor befindet sich
im Besitze von Dr. Paul Arndt.

*) Die ursprüngliche Höhe der Platte lässt sich an¬
nähernd auf 1 m berechnen.
 

und zwar scheint die Neigung der einen Schulter
des ersten derselben auf ein Hinabsteigen schlies¬
sen zu lassen. Er trägt Tunica und Mantel;
die ausgestreckte Linke hielt einen langen,
schmalen Gegenstand, dessen oberes Ende an
dem einen Beine des Dreifusses, wenn auch
beschädigt, erhalten ist. Die Bedeutung dieses
Attributes ist unklar; doch scheint es mir am
ehesten eine Fackel gewesen zu sein. Auch das
Attribut der Rechten fehlt; es muss, nach der
schwachen Stütze zu schliessen, die auf dem Ge¬
wand unterhalb der Gürtung sichtbar ist, von
geringem Umfang gewesen sein. Man könnte an
eine Rolle denken. Der links folgende Begleiter
in der gleichen Tracht bläst erhobenen Hauptes die
Tuba. Von der dritten Figur, die sich zurück¬
wendet, ist wenig mehr als der Kopf erhalten;
sie neigt denselben leicht, vermutlich auf die
kommenden Opfertiere schauend.

Der auf das mit Kriegsschiff^en bedeckte
Meer blickende Apollo legt sofort den Ge¬
danken an die Seeschlacht von Actium nahe,
und diese Beziehung des Reliefs wird durch
die Wahrnehmung bestätigt, dass der Kopf
des vordersten Römers deutlich die Porträt¬
züge des Augustus erkennen lässt. Unter
den Augen des actischen Apollo ist der Sieg
erfochten, und der siegreiche Cäsar schreitet
jetzt mit seinem Gefolge von der Höhe zum
Strande hinab, um dem Gotte das Dankopfer
darzubringen und an seinem Altar die Sieges¬
fackel zu entzünden. Nach Dio Cassius 51, I,
errichtete Octavianus auf dem Hügel, auf dem
sein Feldherrenzelt gestanden, dem Apollo ein
eboq vTiaid'pioy und schmückte den Ort mit
erbeuteten Schiff^sschnäbeln; doch wohl in dem
Glauben, dass der Gott der Schlacht gnädig
zugeschaut habe, wie es auch der Künstler des
Reliefs zum Ausdruck gebracht hat. Eine Münze
des Augustus (Overbeck, Kunstmythologie des
Apollon, Münztafel III, 20) zeigt den Apollo in der
gleichen Haltung mit der Lyra auf einem Felsen
sitzend. Octavian trägt natürlich die gewöhn¬
liche Lagertracht, in der auch Trajan auf den
Reliefs seiner Säule, wenn er nicht im Panzer
dargestellt ist, meist erscheint.

Dem grossen gegenständlichen Interesse,
dem die Darstellung  als einzige uns  erhaltene
 

Denkmäler griech. u. röm. Sculptur
Tafel 595.
 

Verlagsanstalt F. Bruckmann A.-G.
München 1906.
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