Willibald Alexis: Rückblick auf den Weihnachtsmarkt 1835
Weihnachten behauptet bei uns sein altes Recht als Volksfest, wenn auch die Fortschritte in Physik und
Chemie die Wunder, welche ein paar Wachskerzen auf die gläubige Kinderwelt sonst ausübten, verdrängten, und vor dem Glanz
der Gasflammen in den strahlenden Kunstläden die bescheidenen Lichter der bürgerlichen Industrie in den Weihnachtsbuden
matt wurden. Man hält mit Recht fest an dem einzigen und zugleich poetischen Volksfeste, welches sich von selbst gemacht
hat, nachdem so viele Versuche, künstliche zu fabrizieren, gescheitert sind. Noch immer ist der Weihnachtsmarkt der
Tummelplatz der gesünderen
Berliner Lustbarkeit und wimmelt vom Augenblick an, wo die Lichter angezündet werden, von bewegten, frohen Gesichtern. Es
ist nicht allein das Ergötzen der Kinderwelt, sondern auch der ärmeren, diensttuenden Klassen. Eine Herrschaft, welche
ihren Domestiken den Gang nach dem Markte abends verweigern wollte, übte eine unerhörte Tyrannei. Die kleine Betriebsamkeit
setzt ihre ganze Hoffnung auf diese eine Ernte, und ihre Bitten zum Himmel sind nur auf klares Frostwetter auf die Woche
vor dem Christfest gerichtet.
Es mag noch so kalt sein, die Verkäufer und Verkäuferinnen, in Pelze gehüllt, mit Kohlenbecken zu den Füßen, trotzen dem
Froste. Hier hat einmal die Poesie im Verkehr den Sieg über die Industrie davongetragen;
denn wie klar ließe sich beweisen, daß dieser Markt auf offener Straße bei Nachtzeit und in der ungünstigsten Jahreszeit
unnütz ist, daß Verkäufer und Käufer bequemer in den Kaufläden der warmen Häuser ihre nötige Ware holen und absetzen
könnten. Aber das Volk will den Weihnachtsmarkt, und er bleibt nach wie vor in hölzernen Buden auf der alten breiten
Straße, nur daß von Jahr zu Jahr neue Abzweigungen und neue Budengassen aufwachsen. Mit solcher Pietät hält die
Bürgerklasse daran, daß sie ihre Weihnachtsbedürfnisse in den alten flimmernden Buden kaufen, obgleich oft nur ein paar
Schritte dahinter in den großen Läden dieselben Sachen zum Fabrikpreise wohlfeiler zu haben sind. Man muß dem Weihnachten
seinen Verdienst gönnen, heißt es, und man tadelt die Reicheren, welche ihre größeren Einkäufe mit merkantilischer
Berechnung bei den Kaufleuten und Fabrikanten bewerkstelligen. Nur regnigtes Wetter ist der Verderb des Weihnachtsmarktes;
dann jammert die halbe Stadt, nicht sowohl um das gestörte Vergnügen, als um die armen Leute, die um ihren Verdienst
kommen.
Die Ausstellungen gehören notwendig zu dem Feste. Sie haben ihren ursprünglichen Charakter durchaus geändert, und aus den
uralten "Krippelvorstellungen" heiliger Gegenstände sind sie durch hundertlei Variationen zu etwas geworden, was auf
theatralischen Kunstwert Anspruch machen will. Damit sieht es freilich noch schwach aus, und höchstens befriedigt einmal
eine schöngemalte Landschaft mit Lichteffekt die billigen Ansprüche. Indessen ist es ganz gut, daß ihnen die Mechanik so
viel Hindernisse in den Weg legt, um etwas zu werden, was sie nicht werden sollen. Die Ausstellungen von Kraftmehlfiguren,
in denen man bekannte Persönlichkeiten wiederfand und durch die der Konditor Teichmann das Publikum lange Jahre hindurch
ergötzte, waren weit angemessener. Diesmal vermißt man sie. Ob die Zeitumstände auch hier eine zensorische Strenge ausgeübt
haben? Vortrefflich wußten einige Kunstgärtner die Produkte ihrer Treibhäuser zu grünen Zaubersälen umzuschaffen. Am
erfindungsreichsten bleiben jedoch immer die Brüder Gropius, die in ihrem Diorama jede Gelegenheit nutzen, um das
Zeitinteresse zu personifizieren. Diesmal stellten sie in mehreren Bildern das Lager von Kalisch dar. An den Gemälden war
kein großer Zauber, wie es der Gegenstand auch wohl mit sich bringt, aber die Art der Ausstellung und der mysteriöse Zugang
verfehlten die Wirkung nicht. Der Andrang war so groß, daß man stundenlang warten muß und nur Schritt für Schritt zu den
unterirdischen Wundern gelangt. Dafür entschädigt am Eingang ein ungeheuerer Riesenkopf, der, in einen Käfig
eingeschlossen, durch sein phlegmatisches Mienenspiel Jung und Alt ergötzt.
Aus: Morgenblatt (23.1.1836)
In: Weihnachten im alten Berlin / Gustav Sichelschmidt. - Berlin : arani, 1984. - S. 54
Sign: B 274 Wei 8
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