Einst bei der Stasi, heute bei der Demo: 
Mahnmal erinnert an MfS-Opfer — nicht alle sind damit einverstanden

Von Stefan Strauss[1]

Prenzlauer Berg.  Zu DDR-Zeiten hätten so manche von ihnen dafür gesorgt, dass es nicht zu Protesten von Demonstranten kommt.  Am Sonnabend haben etwa 50 ältere Menschen, darunter auch ehemalige Stasi-Mitarbeiter, mit Buh-Rufen und Transparenten gegen die Eröffnung eines Mahnmals auf dem Gelände des Bezirksamtes Pankow protestiert.

Mit dem so genannten Denkzeichen, einem 320 Meter langen Band aus Acrylglas, auf dem 61 Fragen eingraviert sind, soll der Opfer gedacht werden, die nach dem Krieg im Haftkeller des sowjetischen Geheimdienstes NKWD und später des Ministeriums für Staatsicherheit eingesperrt, gequält und misshandelt wurden.  "Die meisten von ihnen waren Sozialdemokraten, Christen und auch Kommunisten, anfangs auch untere NS-Chargen", sagte Volker Wild von der Bürgerinitiative, die Zeitzeugen befragte und die Geschichte publik machte.  "Es wurde auf Verdacht, auch auf Denunziation hin, verhaftet.  Geständnisse wurden erpresst.  Wer reinkam, war schon verurteilt", sagte Wild.  Die Künstlerin Karla Sachse hat ihr Werk "fragen!" genannt. [Mehr über die Künstlerin und Fotos vom Denkzeichen]

Fragen hatten am Sonnabend auch die Gegner des Denkzeichens.  Auf ihren Transparenten war zu lesen:  "Kennen Nazis fremdes Leid?", "Meint Ihr, die Russen wollten Krieg?", "Wird so Vergangenheit aufgearbeitet?"  Die Gegner werfen den Initiatoren vor, mit dem Denkzeichen die Geschichte zu verfälschen, der Täter und nicht der Opfer zu gedenken.  "Hier saßen überwiegend Menschen wegen nazistischer Aktivitäten, sicher auch einige Unschuldige, aber das war eine Minderheit," sagte Siegfried Mechler.  Er ist Mitglied der Linkspartei, PDS und sauer auf seine Partei.  Schließlich stehen Kultursenator Thomas Flierl und die Pankower Kulturstadträtin Almuth Nehring-Venus (beide Linkspartei, PDS) hinter der Idee.  "Vieles ist noch ungeklärt, aber vielleicht können uns die ehemaligen Mitarbeiter derr Staatsicherheit da weiterhelfen", sagte Nehring-Venus zu den Protestierern.  Flierls Verwaltung hatte für das Kunstwerk 45 000 Euro gegeben.

Pankower Kulturstadträtin Almuth Nehring-Venus mit einer Protest-Frage hinter ihr.

Seit langer Zeit hatten ehemalige ranghohe Stasi-Mitarbeiter versucht, das bisher einmalige Projekt zu verhindern.  Mehrfach hatten sie an die Führungsspitze der Linkspartei, PDS, darunter auch Parteichef Lothar Bisky und Landeschef Stefan Liebich, geschrieben und diese aufgefordert, mit dem Gedenkzeichen kein neues "Gruselkabinett" zu errichten.  "Immer wieder wird versucht, die längst widerlegten Klischees, Verleumdungen und Horrordarstellungen vom Untersuchungsvollzug des MfS aufzuwärmen", heißt es in einem der Briefe, die der Berliner Zeitung vorliegen.  Der frühere Vize-Chef der Stasi und Mielke-Nachfolger Wolfgang Schwanitz und der frühere Berliner Bezirkschef Siegfried Hähnel haben die Protestbriefe unterschrieben.  Flierl sagte, die Schreiben seien "auf Denunziation ausgerichtet".  "Ich unterstütze dieses Denkzeichen ausdrücklich."

Die Initiatoren wollen die Geschichte des Haftkellers weiter erforschen.  Mit seinen 40 Zellen im Untergeschoss des Hauses drei war er einer der größten Haftkeller von insgesamt etwa 60, die es nach dem Krieg in Berlin gab.  "Noch ist das ein weißer Fleck auf der Landkarte unserer Erinnerung", sagte Volker Wild.

Zeitzeugen: 
20 Jahre Haft für ein Spottlied auf Stalin

Ehemalige Inhaftierte waren unter den Ehrengästen bei der Übergabe des Denkzeichens. Zitiert unten sind Fritz Naujoks (im grauen Hut, letzte Reihe ganz links), Hans-Joachim Schmidtchen (im schwarzen Hut, letzte Reihe ganz rechts) und Ernst Jost (im schwarzen Hut, erste Reihe links)

Fritz Naujoks (76):  Am 23. November 1945 wurde ich mit anderen Jugendliche in den Haftkeller Prenzlauer Allee gebracht, weil ich ein Spottlied über Stalin gesungen hatte.  Das wurde als konterrevolutionäre Agitation gesehen.  Ich war gerade mal 16 Jahre alt!  Etwa 20 Leute wurden in einem Kellerraum gesperrt.  Dort spielte sich alles ab:  essen, schlafen, sitzen und warten.  Worauf, das wusste keiner von uns.  Jeder dachte, er kommt bald nach Hause.  Das Licht brannte immer.  Es gab keine Toilette.  Im Raum stand ein Waschtopf aus Zink mit einem Brett darüber.  Die Vernehmungen begannen erst um 22 Uhr.  Ein sowjetisches Militärtribunal verurteilte mich zu 20 Jahren Freiheitsentzug.  1954 wurde ich nach fast neun Jahren Gefängnis entlassen.  Die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation rehabilitierte mich vor vier Jahren.

Hans-Joachim Schmidtchen (76):  Für mich begann in Haus drei eine mehr als achtjährige Leidenszeit, welche ich nur mit Glück überlebt habe.  Am 11. Mai 1946 wurde ich auf die Kommandantur in der Prenzlauer Allee bestellt.  Eine kurze Befragung sollte es sein.  Ich hatte Plakate der SPD entlang der Greifswalder Straße geklebt.  In Haus drei wurde ich sechs Wochen lang geschlagen, bespuckt und verhöhnt.  Ich war 17 Jahre alt, meiner Mutter wurde nicht gesagt, wo ich bin.  Ungewaschen, von Lausen zerfressen, warteten wir auf die Verhöre.  Von ihnen kam keiner aufrecht zurück.  Die Verhörten waren alle besinnungslos.  Ich wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt.  Ich habe in dieser Zeit Menschen neben mir sterben sehen.  1954 kam ich frei.  In meinem Genick trage ich eine narbe.  Sie stammt von dem Stöckelschuhen der Dolmetscherin, die beim Verhör im Keller dabei war.

Ernst Jost (77):  Ich fuhr am 28. Mai 1950 als Journalist einer Dortmunder Zeitung zum Deutschlandtreffen der FDJ nach Berlin.  Dort wurde ich verhaftet.  man warf mir Agententätigkeit vor, offenbar weil meine Mutter als Hausdame beim englischen Stadtkommandanten in Dortmund angestellt war.  Ich wurde in verschiedene Gefängnisse gebracht,  im Januar 1951 kam ich in die Haftanstalt and der Prenzlauer Allee.  Nach 16 Monaten Haft wurde ich dort zum ersten Mal verhört.  Ohne ein Geständnis von mir.  Deshalb sperrte man mich in eine Zelle, in der das Wasser fußhoch stand.  Es gab einen Kübel für die Notdurft, kein Bett, keinen Stuhl, kein Licht.  Nach mehreren Verhörnächten wurde mir ein Geständnis abgepresst, nichts davon stimmte.  Das Urteil:  sieben Jahre Zuchthaus.  Davon musste ich vier Jahre in Einzelhaft verbringen.

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[1] Stefan Strauss, "Einst bei der Stasi, heute bei der Demo:  Mahnmal erinnert an MfS-Opfer — nicht alle sind damit einverstanden", in Berliner Zeitung, Nr. 245, 24.10.2005, S. 20.  Dem originellen Text wurden von RAKorb Links und Fotos hinzugefügt.  Fotos Copyright:  RAKorb 2005.