Fragen über Fragen: 
Ein Denkzeichen erinnert an die Opfer, die im Haftkeller von NKWD und Stasi gequält wurden

von Karin Schmidl[1]

Prenzlauer Berg, Karla Sachse wohnt sein vielen Jahren in Prenzlauer Berg.  Dass in dem gelb geklinkerten Gebäude gleich um die Ecke die Stasi residierte, war im Kiez allgemein bekannt.  Doch erst nach 1990 kam ans Leicht, was bis dahin nur Betroffene wussten:  Im Keller des Hauses 3 auf dem heutigen Gelände des Bezirksamtes betrieben der sowjetische Geheimdienst NKWD und danach die Stasi einen Haftkeller mit 40 Zellen.  Über Jahre wurden tausende Menschen eingesperrt und auch gefoltert.  Viele von ihnen waren unschuldig.  Für sie wird am kommenden Sonnabend ein Denkzeichen eingeweiht.  Karla Sachse hat es geschaffen.

"Ich wollte nicht nur eine Stele vor das Haus stellen", sagt die Künstlerin.  Wieder und wieder lief sie um das Gebäude herum und betrachtete die teilweise zugemauerten Kellerfenster, die wie ein Band kleiner Luken wirken.  Und so entstand ihre Idee, ein Band um das Gebäude zu legen.  Auf 320 Metern schwarzem Acrylglas hat Karla Sachse 61 Fragen eingraviert.  Provozierende und zum Nachdenken anregende Fragen in weißer Farbe:  Was wussten sie?, Wie schmeckte der Schluck aus der Schüssel?...  Die Fragen kamen Sachse beim Lesen von Verhörprotokollen.  "Da war auch die Rede von einem Raum, in dem neben einem Kübel nur eine einzige Pritsche stand — für 17 Männer, die nicht miteinander reden durften."  Wie viele Nägel ragten aus der Pritsche?  Oder Wie viel Schweigen ertrug das Ohr? steht nun in weißer Farbe auf der Wand.

Seit mehr als zehn Jahren wird im Bezirk über den Umgang mit der Geschichte des Hauses diskutiert.  "Die meisten Häftlinge waren Sozialdemokraten, Christen und auch Kommunisten, die die Politik der Herrschenden kritisierten", sagt Volker Wild.  Er gehört zur Bürgerinitiative, die gemeinsam mit dem Bezirksamt Zeitzeugen befragte und forschte.  60 solche Haftkeller gab es in Berlin, der in Prenzlauer Berg war einer der größten.  "Es ist ein problematischer Teil von Geschichte, von deutscher Schuld und antifaschistischen Mythen belastet, wo es leicht fällt, Opfer gegen Opfer aufzurechnen", sagt Wild. [Sehen Sie auch den Artikel über den Protest gegen das Denkzeichen]

Wie umstritten die Ehrung für die NKWD- und Stasi-Opfer ist, belegen auch Briefe an Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei).  Der hatte die Arbeiten mit 45 000 Euro unterstützt.  "Ehemalige SED- und Stasi-Funktionäre haben mich aufgefordert, die Aktion zu unterlassen", sagt Flierl.  Das Denkzeichen wurde als "politische Provokation" und "Infamie" bezeichnet.  Flierl will die Briefe veröffentlichen.  "Gedenken braucht Orte und Zeichen, damit das Ausmaß an Unrecht deutlich wird."  Eine Einrichtung des MfS im dem Haus hat übrigens die Zeit überlebt:  Die Sauna der Stasi wird jetzt privat betrieben.

Von 1889 bis 1934 war das Gebäude in der heutigen Fröbelstraße 17 ein Hospital.  Von 1945 bis 1950 residierte dort die Rote Armee, den Keller richtete der Geheimdienst NKWD als Haftanstalt ein.

Von 1950 bis 1985 war das Gebäude Sitz der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit.  Der Haftkeller existierte bis 1956.

Mehr zum Thema: "Einst bei der Stasi, heute bei der Demo"


[1] Karin Schmidl, "Fragen über Fragen:  Ein Denkzeichen erinnert an die Opfer, die im Haftkeller von NKWD und Stasi gequält wurden", in Berliner Zeitung, 18. 10, 2005. Dem originellen Artikel wurden von RAKorb Links und Fotos hinzugefügt. Fotos Copyright: RAKorb2005.