TERRI ZHU

W3220, KORB

1945-60 BERICHT

DER ALEXANDERPLATZ 1945-60

Der Alexanderplatz, oder "der Alex," wie die Berliner ihn kurz nennen, bekam 1805 seinen Name, als er für den rußischen Zar Alexander, der in diesem Jahr bei Berlin auf Besuch war, genannt wurde. Der Platz liegt im osten von Berlin nördlich von der Spree außerhalb der ehemaligen Alten Stadt. Ich interessiere mich für diesen öffentlichen Stadtraum, denn sein Nachkriegslebenslauf paßte dem an, was mit Ost-Berlin im allgemeinen geschehen wurde. Das heißt, der Alexanderplatz blieb nach dem Zweiten Weltkrieg zerstört, wurde dann unter der DDR im sowjetischen Stil wiederaufgebaut und wird nun nach der Wiedervereinigung großenteils vernachlässigt.

Meiner Meinung nach ist die passendeste Charakterisierung vom Alexanderplatz in der Periode 1945-60, daß er fast ein Nichts war. Ich möchte dieses Nichts durch die Augen eines Zeuges, der damals den Platz sah, anschauen. Der deutsche Autor Alfred Döblin fuhr nach dem Krieg aus seinem Exil zurück nach Berlin. 1947 stand er auf dem Alexanderplatz und schrieb:

. . . Was tue ich eigentlich hier? Sollte ich nicht eigentlich Hals über Kopf davonrennen und nichts davon ansehen? Sie haben sich schänden lassen. Ich komme mir vor, ich habe das Gefühl eines Mannes, den man verraten hat . . .

Ich blicke in die großen Straßen, die vom Platz ausgehen. Ich wandere die Münzstraße hinunter, hier gab es früher viele Lokale, auch zweifelhafte. Auch viel kriminelle Dinge sind hier passiert; es war ein ungeheuerliches Menschengewühl. Die Lokale entdecke ich nicht mehr. Ich bin wie Diogenes mit der Laterne, ich suche und finde nichts. Ich kehre zum Platz zurück und erinnere mich an das Lehrer-Vereinshaus, wo es so viel Versammlungen gab, und ein großes Cafe. Das Gebäude steht, gebrochen. Es gibt keine Versammlungen mehr.

Nein, das ist alles Geschichte, Vergangenheit. Hier wie in der Friedrichstraße, am Lützowplatz, am Stettiner, alles zerbrochen und niedergetreten. Die Menschliche Siedlung zerstört, an der sie jahrhundertlang gebaut haben . . .

Ein Mensch kann sich wandeln. Eine Stadt stürzt ein.

Das "alles," was "Geschichte, Vergangenheit" ist, ist der lebendige Alexanderplatz, der vor dem zweiten Weltkrieg existierte. Seit seinem frühesten Leben um 18. Jahrhundert als ein Marktplatz der Bauern funktionierte der Alex als ein Platz von Geschäftigkeit und Aktivität. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Berliner S-Bahn gebaut, im deren Netz der Alexanderplatz ein Knotenpunkt wurde. Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Berlins erste U-Bahn Linie gebaut, und eine Bahnstation wurde unter dem Platz errichtet. Also wurde der Alex ein wichtiges Verkehrszentrum der Stadt. Er diente auch mit seinen Kaufhäusern und vielfältigen Läden als ein Zentrum für Handelsverkehr. Gleichfalls wurden Berliner durch seine Restaurants, Cafes und Lokale auf den Platz angezogen. Aber nach dem Krieg "such[te]" Döblin auf dem Platz und fand "nichts." Von ihm wurde buchstäblisch nichts gesehen, statt dessen brachte er durch Erinnerungen die ehemalige Gestalt des Alexanderplatzes hervor. "Früher" hat es "viele Lokale . . . ein ungeheuerliches Menschengewühl . . . das Lehrer-Vereinshaus . . . so viel[e] Versammlungen . . . und ein großes Cafe" gegeben. Nun gab es "die Lokale . . . nicht mehr" und "keine Versammlungen mehr."

Da sich Döblin an den lebendigen Alex der Vergangenheit errinerte, mußte es für ihn unerträglich sein, "alles zerbrochen und niedergetretten" zu sehen. Also der Autor hatte "das Gefühl eines Mannes, den man verraten hat," als ob seinen geliebten Platz gestohlen worden wäre. Döblins Meinung nach sind Leute nicht die einzige Opfer eines Krieges, sondern "eine Stadt stürzt [auch] ein." Vielleicht ist ‘eine tote Stadt’ die beste Beschreibung vom Alexanderplatz während dieser Periode nach dem Krieg.

Ich vermute, daß andere Berliner an Döblins Ausblick teilnahmen. Für sie waren die Periode 1945-60 eine, in der man sich an den munteren Lebenslauf des Alexanderplatzes errinerte, aber man schaute die Ruine eines toten Platzes an. Hier ist eine ziemlich bittere Nostalgie.

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