Martina Olzog

Herbst 2000

 

Potsdamer Platz: 1961-1989

(wo war er noch mal?)

Die Mauer, die 1961 errichtet wurde, war die enzige Bau am Potsdamer Platz zwischen 1943-1989. Am Platz, der schon vor der Mauer als Niemandsland anerkannt wurde, gab es kein Zeichen, daß jemals am alten Sozialzentrum wieder Menschen treten würden. Viele konnten nicht glauben, was aus dem Potsdamer Platz geworden war. Aus einem Symbol des Friedens, der Glücklichkeit und des Gelds, wurde Potsdamer Platz ein Symbol der Unterdrückung und Sorge.

Das berichtet auch Wolfdietrich Schnurre, in dem Buch „Berlin im Abriss: Beispiel Potsdamer Platz." Er beschreibt die Szene zwichen 1961-1989:

...hoch über unseren Köpfen gleiten auf Rasterschienen eilige Leuchtbuchstaben dahin: westliche Nachrichten für den wahrheitsentwöhnten Ostsektor drüben. Aber wer hier, auf dem Leipziger und dem Potsdamer Platz soll diese Leuchtschrift dort oben noch lesen? Dies ist die menschenleerste, schrecklichste Mondlandschaft, die sich in einer bewohnten und nicht unter direktem Kriegseinfluß stehenden Großstadt aufgetan hat...die schlundhaft schwarzen U-Bahn-Schächte mit Gittern verschlossen; hinter der ersten stacheldrahtgekrönten noch eine angefangende weitere Mauer. Und eine Stille weithin, daß man deutlich in den beiden Pappelgruppen an der Leipziger Straße den Wind rascheln hört...

Diese Wörter sollten keine Stadtmitte beschreiben können. Die Stadtmitte Berlins sollte der belebteste Teil Berlins sein, aber Schnurre beschreibt hier eine Wüste. Die Wörter „menschenleerste, schrecklichste Mondlandschaft" haben ein starken Kontrast gegen die Charakterisierung des Potsdamer Platzes vor dem Krieg als das berühmteste, besuchteste Teil Berlins. Seine Wörter sind mehr als traurig; sie sind erzürnt.

Viele Leute fühlten sich in den Jahren 1961-1989 wie Schnurre; sie wußten, was für eine reiche, schöne Gegend Potsdamer Platz mal gewesen war. Auch Schnurre erinnert sich in seiner Erzählung an die Blumenfrauen, „die klingelnden Straßenbahnen," „den Fußgängerstrom vor dem Fahrdämen," „die funkelnde Autoflut" und die Kaufhäuser.

Aber, als er zurück in die Realität kommt, beschreibt er eine Szene an der „nächtlichen Mauer."

Nein, nichts ist zu sehen jenzeits der nächtlichen Mauer am Potsdamer Platz hier, nur jene unmenschliche, mondhafte Leere weitum und das tief gestaffelte Befestigungssystem, das diese tödlich versehrte Herzstück Berlins wie mit einer gewaltigen schon fast metaphysisch wirkenden Kralle ungreift.

Die Metaphore die Schnurre benutzt um Potsdamer Platz und auch die Mauer zu beschreiben, sind verfolgend, als ob man von der Vergangenheit gefolgt wird. Schnurre beschreibt auch die Mauer als eine Kralle, die die Stadt umgeht. Potsdamer Platz wird, zwar, nicht von der Mauer umfangen, sondern durch geteilt. Vom lebhaften Potsdamer Platz war nichts mehr übrig als die Erinnerung an das, was einmal war. Es stand wirklich keine Anleitung an der Vergangenheit mehr, ausser die Menschen, die dann lebten. Auch die alten Fundamente von Gebauden, die vom Krieg gestört waren, waren schon von Pflanzen überwachsen, so daß Potsdamer Platz wirklich nichts mehr als eine Wiese mit einer Mauer in der Mitte Berlins war. Für Leute die Potsdamer Platz vor dem Krieg kannten, war die Umwandlung schwer zu fassen. Und für die, die Potsdamer Platz als nichts anders kannten als ein Feld, war es schwer zu verstehen, daß es je anders hätte sein können.

Das Buch „Erinnerung an das Herz der Stadt" handelt von einer Untersuchung der historischen Bedeutung des Potsdamer Platzes für die Menschen Berlins. Die Menschen in einer Gruppe, die interviewt wurde, kannten Potsdamer Platz vor dem Krieg nicht, zb. die Jugend (1961). Die Leute wurden gefragt was sie vom Potsdamer Platz wußten. Der Resultat war, daß viele nicht glauben konnten, wie Potsdamer Platz mal aussah.

Bei unseren jüngeren Respondenten zeigt sich immer wieder, daß der Platz, der über Jahrzehnte leer und öde war, wo es fast keine Auslöser mehr für Erinnerung gab, daß man sich an diesen Ort als einen belebten Platz nicht mehr erinnern kann. Stärker noch, auf der kognitive Karte Berlins-der ‚Stadtgebrauchplan’ in den Köpfen der Menschen-existiert er noch nicht mal: ‚Bis zur Maueröffnung, wußte ich nicht mal wo er war,’

Die Leute konnten nicht glauben, wie der Platz mal ausgesehen hatte. Sie kannten ihn nur als Niemandsland. Der hastende Potsdamer Platz war für sie eine Mythos.

Es wurde den Respondenten auch den Teil des Filmes „Himmel über Berlin" (1983) gezeigt, wo der alter Mann über dem Platz läuft und Potsdamer Platz nicht finden kann. Er läuft verwirrt und fragt sich: „Ist das der Potsdamer Platz?" und meint „Das kann kann er doch nicht sein." Viele ältere und jüngere Leute fühlten sich auch wie der alter Mann, der auch seine Erinnerung an was mal war verliert, weil nichts physisches existiert, um ihn zu erinnern. Es war, als ob das „gute Berlin" plötzlich verschwunden war, und von Niemandem wieder zu finden war. Alles das man übrig hatte, war eine Erinnerung.

Zwischen 1961-1989, war Potsdamer Platz nichts mehr, als ein „Niemandsland" und eine „trostlose Brache." Ein 25-jähriger Respondent sagte „Ich hatte immer das Gefühl, da mußte doch etwas [am Potsdamer Platz] sein, wo alle drüber reden, aber da war nie was." Und es war auch nichts- außer der Mauer, die mit der Zeit für die meisten Berliner nichts Außergewöhnliches war.

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