Haeckel, Ernst, Prinzipien der generellen Morphologie der Organismen

(Berlin :  G. Reimer,  1906.)

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228            Entwickelungsgeschichte der physiologischen Individuen.          XVU.

sich Brutknospen (Bulbi, BulbilU etc.) selbsttätig vom Stocke ablösen
und also wirklich monogen erzeugte neue Bionten bilden (z. B. Liliwm
hulbiferum, Dentaria hulhifera etc.).

Die Vergleichung des scheinbaren Generationswechsels der Phane¬
rogamen mit dem echten Generationswechsel der Kryptogamen nnd
der höheren Tiere führt uns unmittelbar zu einer Betrachtung, welche
sowohl für das Verständnis des zusammengesetzten Baues der höheren
Organismen überhaupt, als auch besonders ihrer Entwickelungsver-
hältnisse von der größten Bedeutung ist. Bei den Phanerogamen, wie
sie uns besonders Alexander Brauns klare Betrachtungsweise
tektologisoh erläutert hat, ist es nämhch ganz richtig, daß der Stock
(Cormus), also das morphologische Individuum sechster Ordnung, als
einfaches Bion durch eine Reihe von ungeschlechtlichen Zeugungs¬
prozessen untergeordneter morphologischer Individualitäten entsteht,
welche endhch mit der Erzeugung geschlechtlicher Keime in den
Blütensprossen abschließen. Verfolgen wir den gewöhnlichen Phane-
rogamencormus auf seinem Lebenswege von der Teilung des Eies
(Keimbläschen) an, so können wir eine Reihe von ungeschlechtlichen
Zeugungsakten verschiedener Ordnungen unterscheiden, welche endlich
mit der Eibildung den amphigenen Zeugungskreis vollendet. Ganz
dasselbe finden wir aber auch, wenn wir die einzelnen Entwickelungs-
akte der höheren Tiere, z. B. der Wirbeltiere, vergleichen, deren
Ontogenesis doch allgemein und ohne Widerspruch als einfache Hypo¬
genesis, als Amphigenesis ohne Generationswechsel, aufgefaßt wird.
Auch hier stoßen wir von der Teilung (Furchung) des Eies an auf
eine ganze Reihe von ungeschlechtlichen Zeugungsakten, welche endhch
mit der Geschlechtsreife den amphigenen Zeugungskreis abschließt.
Bei den Wirbeltieren ebenso wie bei den Phanerogamen durchläuft
das Bion während seiner ontogenetischen Entwickelung die ganze
Reihe von untergeordneten morphologischen Individualitäten, welche
derjenigen vorausgehen, in der es schließlich als reifes Bion die Spezies
repräsentiert. Jede höhere Individualitätsordnung wird durch einen
besonderen ungeschlechtlichen Zeugungsakt von der vorhergehenden
nächst niederen erzeugt, und auch innerhalb des Entwickelungslaufes
jeder einzelnen Individualitätsordnung finden wir noch massen¬
haft wiederholte monogene Zeugungsakte der Plastiden, welche die
Organe etc. konstituieren. Dennoch wird es niemand einfallen, diese
Entwickelungsreihe, die aus einer ganzen Kette von verschiedenen,
monogen auseinander hervorgehenden, untergeordneten Generationen
 

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