OC 1/23 : 3-17-17
Draft letter, in JS’s hand, from Schenker to Türkel, dated March 17, 1917]
(Dr. Türkel)
17. III. 17
Sehr geehrter Herr Doktor!
Beiliegend ein heute eingelaufener Brief von Herrn Dr. Friedmann.1 Nach dieser talmudistischen Erklärung (ich selbst bin Jude) gelangt man zu dem Schlusse, daß ich das Stipendium2 erst nach meinem Tode vergeben sollte. Welche Wandlung nimmt doch die Sache seit jenem Brief des Herrn Kammerrates an mich,3 der nichts von diesen Haarspaltereien wußte. Und einmal nun wieder in diese Angelegenheit geworfen[corr], will ich, lediglich zu Ihrem privaten Gebrauche, in Würdigung gemeinsamer musikalischer Interessen nachträglich folgende drastische Erläuterung bieten: Den Herrn Kammerrat schätze ich bis zur Stunde als einen Mann, dem ich unter den vielen Industriellen, Bankdirektoren usw, die ich im Leben gesehen, am ehesten das Prädikat „genial“ zubillige.4 Diese Ansicht lasse ich mir nicht einmal von ihm selbst rauben nehmen. Stellen Sie dagegen aber folgendes: Eines Tages vor etwa 2–3 Jahren läßt er mich durch Fr. Deutsch5 fragen, ob ich nicht ein Mädchen bei einer Musikkapelle unterbringen {2} konnte?! Ich u. eine Damenkapelle „sapiente sat[“].6 Hier liegt die Wurzel bloß. So sieht der Herr Kammerrat einen Menschen dem nachgewiesenermaßen in Deutschland höherer Rang als Hugo Riemann, Hermann Kretzschmar, als Bülow usw. zugebilligt wird, dem der größte Teil der deutschen Jugend huldigt u. folgt, wovon man nur gerade in Oesterreich sehr wenig weiß, bloß weil ich einmal dem Herrn Benedikt7 verraten habe, daß Korngold8 usw. Herr Alfred Rothberger, Stephansplatz 9,9 erzählte mir einmal, daß er in London als Gast eines größten Tuchhändlers seinen Gastgeber nach dem Grab des Walther Scott befragte, worauf er die Gegenfrage bekam: „Ist das der Cheviothändler Scott? Die Gastgeberin aber flötete: „Aber nein, das ist ja der Märchenerzähler.“ Im Hause I, Ehendorferstr. 2, großes, größtes Holzhandungshaus verkehrte ich 10–15 Jahre als Freund des Hauses. Rasch habe ich mir für mein Teil gemerkt, daß Herr Eisler10 ein großes Holzgeschäft betreibt, aber umgekehrt fragte mich all die vielen Jahre her der {3} sonderbare Herr beim Schwarzen,11 für welche Zeitung ich schreibe. Bis ich endlich das Haus aufgab. Ein gewisses Niveau der Betrachtung muß doch da sein.12
In Ihrer Eigenschaft als Anwalt dürften Sie ebensogut als ich die Natur der Reichen kennen. Nun bin ich glücklicherweise so beschaffen, daß ich ihnen nirgend den Vortritt lasse, am allerwenigsten, wenn sie auf Geld pochend Ansprüche stellen. (Fr. Deutsch wußte davon ein Lied zu singen.) Ins Gesicht sage ich es den reichen Leuten, daß die wahren Bettler u. Schmarotzer der Welt die Reichen sind u. werfen sich Millionäre in die Brust, so g sage ich: ich bin ein Milliardeur u. basta.13 In der Tat krümmten sich vor mir die Reichen, wenn es um ein paar Groschen ging, wie die elendesten Straßensammler, während mir ein Leichtes war, auf sein Geld u. alles zu verzichten, wenn er nur dieses betonte. Auf diese Weise bitte ich Sie, sehr geehrter Herr Doktor, meine völlige Gleichgiltigkeit puncto14 all der Beträge zu erklären; ich folge Ihrem Rat, nichts {4} weiter. Auch habe ich ja im Falle der Fr. D. wirklich ein Recht auf so manches. Vergessen Sie bitte nicht, daß ich bei Cotta, Stuttgart, meine Neuen Theorien u. Phantasien im Jahre 1906 u. 1910 publiziert habe, auch ohne Akkreditiv u. Zusicherung usw. Es ging, es wird gehen, weil es gehen [12 lines in HS’s hand, inverted, comprising a copy with variants of paragraph 1 of OJ 10/4, January 26, 1916, from Sofie Deutsch to S] muß. Ende März erscheine ich über Ihren Wunsch in Ihrer Kanzlei u. grüße Sie bis dahin aufs beste als Ihr sehr ergebener
[ unsigned ]
P.S. Gleichzeitig danke ich Herrn Kammerrat für seine Freundlichkeit mit ein paar Zeilen an ihn selbst.
© In the public domain.
© Transcription Ian Bent, 2006.