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September 20, 1907

OC 2/p.20 : 9-20-07

Review of Harmonielehre, dated September 20, 1907

ALLGEMEINE MUSIK-ZEITUNG1
No.38. 20. September 1907.
Neue musikalische Theorien und Phantasien. Von einem Künstler.
(Erste Band: Harmonielehre.)
Besprochen von Dr. Max Burkhardt.
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Das vorliegende, im Verlage der J. G. Cottaschen Buchhandlung, Stuttgart, erschienene, mit Geist geschriebene und auf eine nach jeder Richtung hin gründliche Sach- und Fachkenntnis gestellte Buch versucht eine Brücke zu schlagen über die tiefe Kluft, die von Alters her und leider auch noch gegenwärtig zwischen Theorie und Praxis gähnt, das heißt also zwischen der Erläuterung der Entstehung und Beschaffenheit eines Kunstwerkes, bezw. seiner einzelnen Teile und dem lebendigen Kunstwerk selbst. Diesem Plan folgend untersucht der bescheiden seinen Namen verschweigende Verfasser, was uns Künstlern die Natur an Material und an Entwicklungsgesetzen gegeben hat und was der künstlerische Instinkt hinzugebracht hat. Hieraus folgt eine Kritik der bisherigen Unterrichtsmethode, welch letzterer es bisher noch immer an der Anschauung des Kunstwerkes gefehlt hat. Die Lehrbücher der Harmonie, meint der Verfasser, häufen selbst konstruierte Beispiele auf Beispiele ohne sich die nötigen aus den Werken großer Meister herauszusuchen und hieraus dem Schüler das Wesen der Theorie abzuleiten und klar zu machen.

Das ist sehr richtig und fällt mit ähnlichen Versuchen unsrer Zeit zusammen. In den Harmonielehren der letzten Jahrzehnte – ich denke z. B. an die von Schreyer und die leider viel zu sehr vernachlässigte von Piutti – finden sich solche Beispiele mehrfach und zwar in besonders dankenswerter Berücksichtigung moderner Meister wie Brahms oder Wagner. Man merkt eben, daß die Künstler anfangen, sich auf sich selbst zu besinnen und daß sie erkennen, daß sie doch eigentlich in der Tonkunst das erste und entscheidende Wort zu sprechen haben, während der einseitige Wissenschaftler, mag er nun Philologe oder Physiker sein, erst in zweiter Linie kommt.

So sucht denn auch der Verfasser – und das ist ihm besonders hoch anzurechnen – sich endlich einmal von Riemann frei zu machen. Vor allen Dingen lehnt er dessen System ab von der Erklärung des Molldreiklangs aus der Theorie der Untertonreihe, nach der bekanntlich der Grundton des Molldreiklangs oben, die Quinte unten anzunehmen ist. Sehr richtig heißt es im Vorwort, daß die Künstler von jeher den Stufengang prinzipiell nur auf Grundtöne der Tiefe basiert und diesen mit gleicher Verve überall durchgeführt haben, ohne Rücksicht auf die Erscheinung des Molldreiklanges an sich. Hier finden wir direkt ein typisches Beispiel für die Art des Buches, rein künstlerische Argumente als Ergänzung dessen aufzufassen, was uns die Natur gegeben hat, und das ist in unserem Falle das aus der Obertonreihe zu erklärende Dursystem, von dem das erste Hauptstück handelt. Als zweites gesellt sich hierzu das vom künstlichen, dem Moll-System, das die Künstler neben dem Dursystem (dem alten jonischen) aus der Fülle der mittelalterlichen Systeme beibehalten haben. Warum wohl gerade dieses alte äolische, nicht das phrygische oder lydische? Diese Frage hat die Theorie (und auch die Musikgeschichte) ebenso wenig beantwortet können, wie Riemann, der selbst in seinem „Katechismus der Musikwissenschaft“ uns den überzeugenden Beweis für die wirkliche objektive Existenz der Untertonreihe schuldig geblieben ist. Im vorliegenden Buch ist die Beantwortung auf rein künstlerischem Wege versucht worden: „es können nur melodische, d. i. motivische Gründe dafür maßgebend gewesen sein, den Molldreiklang überhaupt als die erste Grundlage des Systems künstlich zu kreieren, und meines Erachtens ist es eben bloß die Gegensätzlichkeit zum Durdreiklang allein, die den Künstler gereizt hat, das Melos danach zu formen“. Wie der Verfasser das Moll als eine Vorstufe zur wirklichen Wahrheit der Natur, nämlich dem Dur auffaßt, wie er an Beispielen zeigt, wie alles Moll sich danach sehnt, im Dur aufzugehen – das mag man dem Buche selbst entnehmen; mich als Künstler haben diese Ausführungen mehr überzeugt, als die längsten wissenschaftlichen Abhandlungen Riemanns!

Ich erwähne aus dem theoretischen Teil des Buches (es zerfällt in 2 Hauptteile, einen theoretischen und einen praktischen) noch die vortrefflichen Auslegungen und Deutungen des Motivs, das er als die einzige Möglichkeit in der Musik zur Verknüpfung von Vorstellungen hinstellt (ich vermeide absichtlich das Wort „Ideenassoziation“ des Verfassers, der überhaupt mit Fremdwörtern so um sich wirft, daß er beispielsweise die scheußliche Bildung „Miniaturtonikalisierung“ zustande bringt! Wir können uns doch deutsch ebenso gut ausdrücken! Auch seinen Bezeichnungen „Prim, Sekund, Sext, Sept“ kann ich keinen Geschmack abgewinnen; dann müßte er wie von einer „Dezim“ auch von einer „Duodezim“ sprechen; aber Seite 174 hackt er diesem Wort den Schwanz nicht auf so grausame Weise ab, sondern spricht von der „Duodezime“). Für alle anderen Künste gibt die Natur das Vorbild, sei es in Wort, Farbe oder Form. In der Musik aber fehlt von Haus aus jede derartige unzweideutige Vorstellungsverknüptung [sic]; in der Musik besorgt sie das Motiv, das Motiv, dem eine fortpflanzende Kraft innewoht, der Trieb, sich zu wiederholen.

Auch hier kann ich nur wieder empfehlend auf die betreffenden Ausführungen, mit denen das Buch beginnt, hinweisen; ich will nur noch ein paar Worte über den zweiten Hauptteil, den praktischen folgen lassen.

Dieser Teil fällt nämlich gegen der ersten schon deshalb ab, weil das Mehr, was zu sagen war, auf kürzeren Raum zusammengedrängt ist. Der Verfasser sah sich genötigt, da er im ersten Teil zu ausführlich geworden war, nunmehr wichtige Gebiete wie das der Modulation in einem förmlichen Galopptempo zu durcheilen. Dadurch leidet die Symmetrie des Buches.

Inhaltlich wäre zu erwähnen, daß der Verfasser wie im ersten Teil dem Motiv, so hier der Stufe eine außerordentlich wichtige Stellung einräumt, wobei aber der Begriff der Stufe viel höher und abstrakter gefaßt wird, als bisher, nämlich: die Stufe ist nicht identisch mit dem Dreiklang (wenigstens nicht immer!) sondern „bildet eine höhere Einheit, so daß sie zuweilen mehrere Harmonien konsumiert, von denen jede einzelne sich als selbt- [ newspaper clipping breaks off at this point ]

May 18, 1908

OC 2/, p.20–21 : 5-18-08

Review of Harmonielehre, dated May 18, 1908

[ stamped: ] NEUES WIENER TAGBLATT [ handwritten: ] 18.V.08

Neue musikalische Theorien und Phantasien. Von einem Künstler. Erster Band: Harmonielehre. — Wie in jeder Kunst, so steht auch in der Musik im Anfange die Praxis. Ihr folgt langsam erst die Theorie nach, denn der schöpferische Geist läßt sich durch starre, dem flügelnden Verstande entsprungene Regeln nicht knechten. In der Wissenschaft kann man auf spekulativem Wege, durch logische Aneinanderreihung von Schlüssen zu allgemein gültigen Formeln gelangen, nie aber in der Kunst. Nicht willkürlich, nur dem drängenden Triebe folgend, seinem Innenleben künstlerisch gestaltend Ausdruck zu verleihen, schafft der Künstler, allerdings von gewissen, seiner Kunst innewohnenden Naturgesetzen unbewußt geleitet. Erst aus der Praxis wird die Theorie geboren. Diese der Kunst immanenten Gesetze und Grundlagen aufzudecken, sie zu ordnen und in ein einheitliches System zu bringen, ist die Aufgabe der Theorie. Doch gar bald vergaßen die Theoretiker, daß ihre Tätigkeit die sekundäre sei; sie stellten die Regel als das Primäre hin und verloren so den Zu-{21} sammenhang mit der lebendigen Kunst ganz aus den Augen. In Unterricht und Lehrbuch erschienen selbst zusammengeleimte tote Schulbeispiele und ausschließlich diese, anstatt an Beispielen aus Kunstwerken dem Jünger das Wesen seiner Kunst zu erläutern. Die Künstler aber schwiegen und schufen unbeirrt weiter. Erst in letzter Zeit griffen sie in diese Verkehrtheit ein, legten ihr gewichtiges Wort in die Wagschale und wurden selbst zu Lehrern. So erschien im Verlage der J. G. Cottaschen Buchhandlung in Stuttgart das vorliegende Buch, das geistvoll geschrieben und von tiefgründiger Sachkenntnis erfüllt, ebenso wie die vor einigen Jahren in der „Universal-Edition“ erschienene, ungemein lehrreiche Broschüre „Ein Beitrag zur Ornamentik“ desselben Verfassers (es ist der Wiener Komponist und Musikgelehrte Dr. Heinrich Schenker) auf durchaus künstlerische Basis gestellt ist und ...[?] von aller Schulsucherei, aber ebenso fern, trotz seines Titels, von verschwimmender Phantasterei aus einem künstlerisch-intuitiven Empfinden heraus das Wesen der harmonischen Phänomene zu erklären sucht. Das Buch, dessen Inhalt durch eine große Anzahl vortrefflich gewählter Beispiele aus Kunstwerken von der ältesten Zeit an bis auf Richard Strauß erläutert wird, zerfällt in zwei Teile, einen theoretischen und einen praktischen, der im Verhältnis zum Anfang des ersteren ein wenig rudimentär geblieben ist. Manches ist hier, wohl mit Absicht, nur gestreift, aber gleichwohl finden wir auch in diesem Teile viele Anregungen und Gedanken, die allein schon ein ungewöhnliches Interesse für das Buch erwecken. Es ist kein Werk für den Unreifen, kein Lehrbuch im gewöhnlichen Sinne; aber wer überhaupt zu lehren versteht, wird dieses Buch mit Nutzen lesen. Dem musiktechnisch Reifen, aber auch nur dem, der selbst künstlerisch denkt und fühlt, wird dieses Buch eines Künstlers ein fruchtbares Feld anregender Gedankentätigkeit sein.

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December 31, 1913

Dahms: Beethoven Redivivus : 12-31-13

Review of LfS 109 by Walter Dahms, Die Kreuz-Zeitung, December 31, 1913

Beethoven redivivus.1

Die letzten Klaviersonaten Beethovens waren von jeher die Werke, in die viel hineininterpretiert und hineingeheimnist wurde. All die “genialen” Pianisten uind Herausgeber entdeckten neue Nuancen, entdeckten und verbesserten “Irrtümer” und “Fehler” Beethovens. Und der Allgemeinheit stand ja die “Genialität” dieser Kärrner höher als der König Beethoven. Wenn ein Hans v. Bülow einen “Fehler” Beethovens fand, so erschauerte man in Ehrfurcht — nicht vor Beethoven, sondern vor Bülow, und fand es ganz richtig, daß der kleine Hans v. Bülow den großen Beethoven verbesserte. So kam es, daß die unglücklseligen Herausgeber und Verbesserer Beethovens ungestraft des Meisters Werk verändern und entstellen durften. Jedermann nahm diese Aenderungen Beethovens dankbar und gedankenlos an, und schließlich wußte man gar nicht mehr, daß man Beethovens Original nur noch durch die Brille seiner Herausgeber sah. Schreibarten schlichen sich ein, die sich vom Original erheblich entfernten. Aber niemand nahm daran Anstoß, da ja täglich versichert wurde, was für große und geniale Musiker diese Herausgeber wären. So wurde der “verbesserte” Beethoven sanktioniert.

Aber einmal regt sich doch das Gewissen der Musik. Der bekannte Musiktheoretiker Dr. Heinrich S c h e n k e r in Wien, dem wir schon so viel Aufklärung über die Musik unserer großen Meister verdanken, hat es unternommen, die letzten fünf Sonaten Beethovens von den “Zutaten” und “Verbesserungen” der Herausgeber zu reinigen und das Original Beethovens wieder herzustellen. Als erste Publikation dieses großartigen Unternehmens bietet er uns die E-Dur-Sonate op. 109 in ihrer wahren Gestalt, die er aus dem Autograph Beethovens, der Abschrift2 und Originalausgabe festgetstellt hat. An dieser Erläuterungsausgabe Schenkers darf niemand mehr vorübergehen. Damit muß sich jeder Musiker auseinandersetzen, und er wird sich Schenkers zwingenden Ausführungen, hinter denen als Kronzeuge der Geist des Meisters selbst steht, nicht entziehen können. Denn jetzt heißt es: entweder Beethoven oder seine Herausgeber! Vortrefflich ist, daß Schenker in strengster, unerbittlichster Sachlichkeit mit den Verbesserern und Ausdeutern Beethovens abrechnet und in seiner Erläuterungsausgabe den unzweideutigen Beweis erbringt, wie unrecht Beethoven getan worden ist. Schenker zerpflückt die Ausführungen eines Marx, Lenz, Nagel und Bekker über die E-Dur-Sonate, er geht besonders scharf ins Gericht mit dem schädlichen Dünkel Hans v. Bülows und polemisiert vernichtend gegen Kretzschmars Phraseologie. Vor soviel Tatsachenmaterial müssen diese Scheingrößen natürlich fallen. Aber Beethoven steht wieder in seiner wahren Gestalt da.

Schenkers Verdienst um diese Erkenntnis der Werke Beethhovens ist nicht hoch genug zu schätzen. Die Erläuterungsausgabe der letzten fünf Klaviersonaten, die in der Universal-Edition erscheint, sei jedem empfohlen, der an die vom Gestrüpp befreite Quelle gelangen will.

Walter D a h m s

[ attached to this review is the following press agency slip: ]

Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte.
Berlin NO.43. Georgenkirchplatz 21I.
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(liest die meisten Zeitungen und ist das
bestorganisierte Bureau Deutschlands.)
Zeitung: Kreuz-Ztg
Ort: Berlin
Datum: 31. Dez. 1913

© Heirs of Heinrich Schenker.
© Transcription Ian D. Bent 2005.

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June 20, 1920

Review of Niemann "Brahms" : 6-20-20

Review of Walter Niemann, Johannes Brahms, by Elsa Bienenfeld, in the Neues Wiener Journal, June 20, 1920

Nach der vielbändigen, monumentalen Brahms-Biographie Kalbecks,1 der als quellengeschichtliche Materialiensammlung grundlegende Bedeutung zukommt, wird soeben von Walter Niemann eine einbändige populäre Brahms-Biographie veröffentlicht*),2 in welcher besonders die Jugendzeit ausführlich dargestellt ist. Recht übersichtlich sind übrigens in dieser Biographie auch die anderen wichtigen Erscheinungen und Ergebnisse im Leben des großen Meisters dargestellt „des letzten Meisters deutscher Tonkunst“, wie ihn Heinrich Schenker, der bedeutendste Theoretiker der Gegenwart,3 nennt. Aber auch in dieser klar gearbeiteten und nicht ohne Phantasie aufgebauten Lebensgeschichte bleiben viele Gebiete von Brahmsens Werdegang rätselvoll und undurchdringlich. Leider! Als echter, verschlossener Niederdeutscher, mit seiner starken Abneigung vor der Oeffentlichkeit, liebte Brahms es ganz und gar nicht, seinen Lebenslauf und Studiengang der neugierigen Mit- und Nachwelt offen auszubreiten. Er hat vielmehr selbst schon frühzeitig alles vernichtet, was für oder gegen seine Persönlichkeit Allzudeutliches ausgesagt hätte.

[ handwritten: ] N. W. Journal
....[?] Bienenfeld, 20. VI. 1920

[Review clipping enclosed by Schenker with CA 171–172, dated June 20, 1920, and sent to Cotta]

© Transcription Ian D. Bent, 2006.

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June 1, 1930

Guttmann/Meisterwerk :1930

Deutsche Tonkünstlerzeitung, Heft 11 (June 1930?)
[enclosed in OJ 9/34, 21, June 25, 1930 (von Cube to Schenker)]

Heinrich Schenker: “Das Meisterwerk in der Musik”. Drei Masken-Verlag

Dieses Jahrbuch ist die Fortsetzung eines bereits früher erschienenen Werkes, in welchem der geistvolle Verfasser seine Betrachtungen über die “Urlinie” begann. Wenn man ihm auch durchaus nicht in dieser die Musik völlig skelettierenden Betrachtung folgen kann, so muß man immer wieder erstaunen, wie hier ein Musiker eine “idée fixe” durchführt.

Ganz besonders eignet sich selbstverständlich Joh. Seb. Bach für die Beweisführung, und die Beispiele aus seinen Werken sind naturgemäß die häufigsten. Aber auch an anderen Werken wie an Mozarts g-moll Sinfonie und an Haydn’s Einleitung aus seiner “Schöpfung” wird das Organische in der Musik aufgezeigt. Gans besonders interessant sind die beiliegenden Tafeln, weil sie die beste Anschauung von den Theorien des Verfassers geben.

Das ganze Werk ist zweifellos eine starke Ueberspannung des Gedankens der Linearität, keine leichte Lektüre; aber wenn man sich hineingefunden hat, doch voller Anregung.

Dr. Oscar Guttmann, Breslau

December 1, 1934

Monthly Musical Record 1934

Review of Jonas, Das Wesen des musikalischen Kunstwerks (Vienna: Saturn-Verlag, 1934):

Monthly Musical Record, December 1934, translated anonymously into German, and enclosed in typescript with OJ 12/6, [40], December 19, 19341

Es ist immer störend, wenn der Titel eines Buches etwas anderes zu versprechen scheint, als was sein Inhalt bringt. Hier ist es der Untertitel (der nicht auf dem Umschlag zu finden ist): Eine Einführung zur Lehre Heinrich Schenkers, der wirklich beschreibt, wovon das Buch handelt. Einführungen (d.h. abgekürzte und vereinfachte Ausführungen) von neuen oder schweren Theorien, sind immer willkommen. Viele von uns werden es sich gewünscht haben, daß etwas in dieser Art für Kurth's 3 große Werke und hauptsächlich für seine "Musikpsychologie" geschehen wäre. Und da Dr. Jonas wirklich erklärt wie die wahre Natur der Meisterwerke in der Musik nach Schenker ist, wie ich annehme, wäre es ungerecht über seinen gewählten Titel zu nörgeln – selbst wenn dieser Titel uns dazu verleitet einen Sommer zu erwarten und nicht bloß eine Schwalbe.

Heinrich Schenker (geb. 1868) ist nach der neuesten Ausgabe von Riemann's Lexikon, der Führer einer Schule, (unter deren Mitglieder wir Hermann Roth, Hans Weiße und John P. Dunn finden) welche glaubt, daß "die klassische Musik das reine Phänomenon der Musik ist" und welche versucht eine vollkommene Theorie der "Urlinie" (wesentliche und universelle Töne) der Musik, des reinen musikalischen "Kerns" (Substanz und keimende Kraft) aus den klassischen Meisterwerken zu folgern.

Der daraus folgernde Begriff, daß die Grundgesetze der Musik unveränderlich und ewig sing, ist kein neuer. Alles hängt von seiner praktischen Ausdeutung ab, wenn die Frage der Anwendung bei Werken, die eine neue Linie beginnen, auftritt. Und da Schenkers Darstellung in keiner Weise leicht zu folgen ist, so ist es selbstverständlich nützlich, sie in gedrängter Form zu haben. Seine Lehre, so wird uns auf dem Umschlag gesagt, hat einen wachsenden Einfluß auf leitende musikalische Kreise. Trotzdem ist es unachtsamer Weise zugelassen, daß seine Harmonielehre (1906) noch immer vergriffen ist. Seine Kontrapunktbände sind von Dunn ins Englische übersetzt.2

Das führende Prinzip der ganzen Theorie besteht darin, daß der gewöhnliche Accord, öfter noch eine Reihe von einzelnen besonderen Tönen das Modell ist, welches die Natur der Musik gegeben hat. Daher ist Dissonanz stets Bewegung und Übergang, nie Zusammenklang oder beständige Harmonie. Und das Modell der Natur muß die Basis der Musikwerke liefern. Bei diesem Punkt sieht man sofort, wieweit entfernt Schenkers Theorie vom Erfassen aller modernen Entwicklungen ist, wo sie uns die "wahre Natur" der Musik zeigt. Schönbergs Harmonielehre ist ebenso fest auf die klassische Tradition aufgebaut wie Schenkers und doch führt sie in eine vollkommene andere Richtung. In der Tat sagt uns Erwin Stein, Schönbergs Schüler, in einer kürzlich erschienen Broschüre, daß der gewöhnliche Accord von Schönbergs Wortschatz ausgeschlossen ist, da er nur aus ersten Haupttönen besteht, welche nichts neues beifügen, also "überhaupt kein Accord" sind. (Und war es nicht Prof. Tovey,3 der kürzlich darauf hinwies, daß "Musik nicht aus akkustischen Theorien gemacht werden könnte?) Auch dürfen wir nicht vergessen, daß bereits 1906 (als Schenkers Harmonielehre erschien) Disharmonien -- im gewöhnlichen Sinne des Wortes -- unter den Händen von Debussy und anderen Meistern vollkommen beständige Harmonien waren.

Wenn der Zweck von Schenkers Theorie die Feststellung ist, daß solche Versuche nicht im Einklang mit der "wahren Natur" der Musik sind, dann kann man nur sagen, das ihm bis jetzt nur das Annehmen einer nicht zu beweisenden Sache gelungen ist.

Monthly Musical Record, December 1934

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