OC 50/14 : 7-15-31
Typed letter from Elsa Bienenfeld to Schenker, dated July 15, 1931
15. VII. 31.
Hochverehrter Herr Professor.
das [sic] Kunstwart-Heft1 habe ich erhalten, ich danke Ihnen dafür und mehr noch für Ihre persönlichen Zeilen,2 die ich als hohe Auszeichnung betrachte.
In der Frage des Briefes3 kann ich mich nicht anschliessen. Ich kenne gerade diesen Brief seit langem und habe, als ich ihn das erstemal las, sofort das sehr bestimmte, ungute Gefühl einer Fälschung gehabt. Erst viel später fand ich zu meiner Ueberraschung dies auch von Jahn4 bestätigt. Vom Inhalt, (der Mozarts Art zu komponieren sehr voll und mit wahrem Verstand kennzeichnet) abgesehen zunächst abgesehen: es ist nicht der Ton Mozart’s, der aus diesem Briefe klingt. Ich meine damit den Tonfall, die Art, die Worte zu setzen und zu wählen. Nirgends finde ich unter sämmtlichen Briefen Mozarts ein Gegenstück zu diesem Psychologisieren, zu diesen „Sich-Ueber-sich-selbst-Rechenschaft geben“ und zu dieser selbstgerechten Bespielgelung5. Der Brief erinnert mich sehr an die kürzlich erschienene „Kleine Chronik der Anna Magdalena Bach“ und deren gezierte, obschon virtuose Stilkopie6; nur ist es freilich viel merkwürdiger im Falle Mozart, dass schon um so viel früher von dritter Seite ein Bild seiner Schaffensnatur gemalt wurde, wie wir sie heute erkennen. Die feine Kritik und die richtige Beleuchtung, die diesem Brief als Zeitzeugnis immerhin Wert gibt, könnte Ihre Annahme bekräftigen; dennoch kann ich aus sprachlichen, aus stilistischen, aus psychologischen Gründen mich nicht für überzeugt er- {2} klären und muss, selbst gegen eine Autorität wie die Ihre, den Vorschlag, ihn für einen echten Mozart-Brief zu halten, ablehnen. Ich halte gerade dieses Dokument eher für eine Schädigung, besonders im Hinblick auf Ihre herrliche Theorie der Genie-Verehrung.
Da ich Ihnen, hochverehrter Herr Professor, nicht gerne öffentlich widersprechen möchte und aus diesem Grunde lieber von einer Besprechung absehe, frage ich nun zuerst bei Ihnen an, ob Ihnen auch bei entgegengesetzter Anschauung mit einer Besprechung gedient wäre.
Stets in grosser Verehrung Ihre sehr ergebene
[ sign’d: ] Elsa Bienenfeld
Verzeihen Sie, hochverehrter Herr Professor, dass ich meiner unleserlichen Schrift wegen mit der Maschine schreibe!
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© Transcription Martin Eybl, 2006