Handwritten letter from Schenker to Cube, dated August 10, 1929
Mein lieber Prof. v. Cube!
Zunächst die verleger-technische Angelegenheit, die Sie begreiflicherweise heute am meisten interessiert.
Ich sprach mit Prof. Oppel| über die Verhältnisse in Deutschland. Er erzählte: Nach einer Aufführung seines jüngsten Streichquartettes durch Schulze-Prisca schrieb Dir. Pauer| an Peters wegen der Drucklegung; Peters hat sich dem Konservat.-Direktor bequemt, Oppel aber ging honorierlos aus. Bei Br. & H. ist, wie Sie wissen, Zilcher| Lector (mit fixem Gehalt), doch zu ihm ist ja Ihr Weg verrammelt, nicht? Auch würde er sich bei diesen {2} Stücken, wie ich befürchten muß, zu einem beifälligem Gutachten kaum verstehen, so fremd muß ihm die Art der Inhaltsführung sein. Von Dir. Prof. Dr. Altmann, dem alten Direktor der Preussischen Staatsbibl. Berlin, hörte ich u. las ich öfter, die deutscher Verleger könnten sich solch ein Luxus nicht mehr gönnen, die Komponisten müssten sich an den Druckkosten zumindest beteiligen usw. usw. Hindemit[h] geht gar nicht, Krenek auch nicht, das sich sind öffentliche Geheimnisse.
Wohl aber weiß ich von Dir. Hertzka, worauf er (u. wohl auch jeder andere Verleger) seinen Entscheidung stützt: er forscht nach den Beziehungen des Komponisten, er drückt, ohne mit der Wimper zu zucken, sobald er merkt, daß so[corr] eine {3} organisierte Partei (wie heute die der Antimusiker) steht oder eine gesellschaftliche Clique, die den Verkauf von 50–80 Ex. als sicher annehmen läßt. So hat Dr Weisse| für seine Gesangsquartette mit Klv.-Bgl. Hertzka 200 Subscribenten angeboten, worauf H. meinte: “100 sind auch genug, u. da erhalten Sie noch 10% Tant.”
Wenn Sie also den Weg einer Beteiligung an den Druckkosten oder der Subscript. nicht gehen wollen, – meine Empfehlung sagt den heutigen Verlegern nichts, die noch immer, durch den “Fortschritts”befehl hypnotisiert, an das Kapitalwunder der “neuen”, “fortschrittlichen” Musik glauben, u. eher eine atonale Komp. drucken, ehe sie eine Kunstgenüße aufnehmen [Weisse weiß da ein Liedchen von Simrock (!) zu erzählen] – so würde ich Ihnen den Rat geben:
{4} Betrachten Sie die Welt dieser Tage als tabula rasa, lange kann es ohnehin nicht mehr dauern, daß ein Ruckschlag kommt, u. in dieser Zwischenzeit suchen Sie Freunde Ihrer Stücke zu erwerben, die Ihre Stücke auch spielen: erreichen Sie das, so stellen sich endlich auch die Verleger u. Kritiker als die 1001ten oder 566ten ein, nur die wirklich Ersten zu sein, das geht über ihren den Horizont ihres Geistes, folglich auch der Brieftasche. Erneuere ich meine Beziehung zur “U.E.” (Anfang 1930), so werde ich selbstverständlich für Sie eintreten. Indessen bitte ich, wie gesagt, fortzufahren in der Komposition, nicht rasten!| . .
Hiemit moduliere ich zum künsterlischen Teil.
Zunächst danke ich herzlichst für Ihre frdl. Absicht[,] mir Ihr erstes Werk zu schenken. Darüber {5} bin ich umso mehr erfreut, als es die Perle beider Sonaten enthält, u. zw. das Rondo„thema” in As. Überaus lieblich, poetisch, gesättigt mit Kunstgeist (überlegen Sie, ob in T. 2 das 4. Achtel es oder f sein sollte, wegen … Parallelismen [example 1]), stellt das „Thema” das Ideal einer Erfindung vor, die nicht „Melodie” im allgemeinen Unverstande ist, dennoch aber singender ist, als die gewisse Melodie, u. für die Sonatenform, ich meine auch für ein Rondo als Teil einer Sonate, vorzüglichste Eignung besizt. Schon um dieser Noten willen müssten ein Verleger danken u. zahlen – doch das hatte immer seine weiten Wege u. hat es immer noch. Vorläufig Nebensache auch. Vorzüglich im Rondo auch Anschluß System 6, Vorbereitung u. Fortsetzung System 8 (hier gienge auch die Balkung [example 2] zu je 4 Achteln), wiederum alles auf wünschenswerteste sonatenhaft glücklich, löblich, ja sehr löblich die Kürze des Es. Schon mit diesem Wenigen {6} will ich Ihnen herzlichst Beifall spenden zu der ersten Formgebung im höheren Sinne der Sonatenform, der nicht einmal „Themen” oder „Melodien” von Chopin, Schubert usw. willkommen sind, wenn sie so aussehen wie die in den beiden Sonaten von Chop. u. so manche bei Schubert. Pflegen Sie also mit aller Ihren verfügbaren Energie die Leichtigkeit u. Unbefangenheit Ihrer Hervorbringungen immer nur nach dieser Richtung hin, es wird immer mehr lohnen. S. X (Forts. des Rondo): preludierenhafte Einführung des Gegensatzes (errinnert an den Gegensatz in B’s op. 26, Rondo, macht nichts!), erläutert durch den Parallelismus (IX ob.), ist ein guter Einfall zur Form. Die Lagerung der Dinge auf XI ist nicht durchsichtig genug, zierlich so manches aber (System 2), hübsch auch die Dim. von Syst. 4 ab. Usw. usw.
Nun zurück zum III Satz: ein solcherart improvisierende Satz kann (muß auch vielleicht, je nach dem Stoff) auf eine Wdh. verzichten, er kann improv.isatorisch {7} fortgehen, kurz, nur zur der Überleitung zum letzten Satz dienen, zumal wenn wie hier die Eröffnung auf einem Kunstgriff (=V) beruht; jedenfalls sind dann die Parallelismen von kürzerem Umfange, keinesfalls so breit wie hier = a1–a2, da durch diese Form die Improv.ungen gestraft wird. Schön aber Ihr “Mut” VI VII Syst. 3–5, niederzuschreiben, so etwas muß immer seine Wirkung behalten, mag sich Mode, Aufgeblasenheit zeitweilig noch so sehr dagegen sträuben.
Son. II, S. I: die Absicht auf die Form deutlich u richtig, der Dim.-Stoff tritt, wenn man so sprechen dar, zurück, einmal gelangt er besser, das andermal (wie hier) weniger gut. In der Mdp. nicht Wdh| häufen: [ge]schmiedig[?] überqueren mit kräftig geschnittenem Baßgang, mit den einzelnen Klängen des Baßganges kann eher die Dim. wechseln, die Führung[?] des Basses, von der Linie der Oberst. abgesehen, trägt auch den Wechsel. Glücklich II System 2–4 (“Glockenspiel”?). Überflüssige Längen meiden! Lieber kurz, charakteristisch, redend, spielend.
{8} (II Satz): Notierung: VI, Syst. 2 von unten, T. 3 u. 4. ausbessern. S. VII: die Verkleinerung von T. 1–2 gut, hält die Beziehung fest. (III. Satz): Anfang famos, voll bester Laune in den Umkehrungen u. im Oktavenwechsel. S. IX, S. 5–6 u. an anderen Stellen Notierung erleichtern durch Umschreibung! Was ist es mit dem Übergang von X [corr] zu XI? Was gilt? In diesem Satz nun vieles noch zu kürzen, wie denn überhaupt so manches in beiden Stücken zu schleifen wäre!
Doch auf alles das kommt es mir im Augenblick gar nicht an, nur auf den Sonatenhabitus, auf die Befähigung, Musik nicht in Melodiechen, nicht in Periodisierungen zu atmen, was alles in Tänzen, Opern, Potpourris gehört, – u. diese Befähigung finde ich bei Ihnen u. empfehle Ihnen, sei trotz dem entgegenstehenden Zeitgeist zu pflegen. Namentlich nehmen Sie sich bei den Wdh. der Dim. in Acht, was die man ehemals “Schusterfleck” nannte: Nur was sein muß, als notwendigster Parallelismus, lehren Sie eigens daraufhin die Meisterwerke!
{9} Noch ein Wort zu Ihrem u. meinem Schutze:
Sollte Jemand meine Anerkennung für Sie vielleicht im Widerspruche finden zu den Mängeln, die ich andeute, so lachen Sie ihm ins Gesicht u. sagen Sie ihm in meinem Namen: “Suchen Sie zuerst die Meister zu verstehen, die Inhaltsfühurng in einer Sonate (Sinf. usw) überhaupt), dann verstehen würden Sie auch zu loben wissen, was lobenswert ist.” Ich kann Sie im Grunde nicht hoch genug loben. {10} Für so manchen im Geiste der Sonatenform wirklich gelungenen Zug, so musste nun derjenige, der über mein Urteil zu urteilen sich anmaßen möchte, mit mir wissen, um was für schwierigen Dinge es da geht.
Sollten Sie einen Kopisten haben u. es einmal der Mühe wert finden, die Stücke so [illeg. word] kopieren zu lassen, so würde es mich freuen, eine solche Kopie zu besitzen.
Mit dem recht Tiroler’schen {11} “Zeit lassen”, mit besten Grüßen von mir u. meinem Lie-Liechen [15]
Ihr
[ sign’d: ] H Schenker
Galtür, 10. Aug. 29
© In the public domain.
© Transcription William Drabkin, 2006.