Handwritten letter from Jonas to Schenker, dated March 16, 1934
[printed:] Dr. OSWALD JONAS
[handwritten:] W 30 Bambergerstr. 25
Berlin, den 16. III 34
Hochverehrter Herr Doktor!
Sie werden mein Benehmen vielleicht für etwas unverständlich gehalten haben, aber diesmal konnte ich nicht anders – ich konnte nicht schreiben, ehe nicht der letzte Rest meines Buches endgültig abgeschlossen war. Dies hatte ich mir auch vorgenommen. Nun ist gestern alles auf die Post gegangen, der noch ausständige Teil, den ich leider unter größten Schwierigkeiten aller Art hier zu Ende bringen mußte — manchmal ging es einfach nicht —, die Korrektur der bereits gedruckten Fahnen, Beispiele, etc. Es hat sich wieder das schöne Wort Nestroys bewahrheitet: “von Paris nach St. Pölten geht’s ja, aber von da an nach Wien zieht sich der Weg.” {2} Freilich die Hauptsache fehlt noch: d.i. ob Sie mit der Arbeit zufrieden sein werden. Vielleicht hätte manches besser werden können – unter etwas ruhigeren Verhältnissen – und zuzusammengefaßter. Hoffentlich ist mir wenigstens eines gelungen, was mir als das Wichtigste erscheint: daß ihre Lehre vom Ursatz nichts “Ausgedachtes” nichts “Errechnetes” ist, sondern daß sie gewachsen ist aus einer Ohrfähigkeit. Im Keim bereits von Anfang an da! Z.B. Harmonielehre S. 327, wo von Stufengängen “höherer Ordnung” (!) die Rede ist. Das Buch hat vier Abschnitte und 2 Anhänge, wie Sie aus beiliegendem Inhaltsverzeichnis ersehen können. Ursprünglich wollte ich einen eigenen ”Form” Abschnitt, mußte aber, da der verfügbare Raum schon ganz überschritten war, mich mit einem Kapitel begnügen. Auch konnten ja dann sowie überhaupt für [corr. from zum or vice versa] Abschn. IV bereits frühere Beispiele herangezogen werden.
Was mir ebenso wichtig erscheint: hoffentlich ist die Absicht gelungen, zum Studium Ihrer {3} Werke anzuregen durch Zitate, Verweise etc.
— Nun möchte ich Ihnen auch danken für Ihre wirklich liebevolle Übersendung der “Syrischen Tänze”, die mir unendliche Freude gemacht haben, wie überhaupt jede Zeile und jeder Gruß hier für mich einen wahren Lichtblick bedeutet.
— Ich hoffe, daß Sie mit Ihrem Gesundheitszustand zufrieden sind und sein können. Furtw. erkundigte sich neulich eingehend (übrigens auch sonst immer) nach Ihrem Befinden und versicherte mir, wie gerne er Ihnen schreiben möchte. Daß er augenblicklich überbelastet ist, dürfte wohl wirklich stimmen, da er ja auch in der Oper nun sehr viel zu tun hat. Und für mich? Nun ja — er hat neulich Prof. Stein, dem ich einen Brief geschrieben hatte, ob er mir nicht Stunden hier oder in Hambg etc. verschaffen könnte, meinethalber angerufen. Das Resultat war, daß Stein mir endlich schrieb, so leid es ihm täte, könne er mir jetzt — “Keine Stelle an der Hochschule verschaffen.” Man schlägt das Unmögliche, das {4} man garnicht im Traum verlangt hat, aus, um vom Möglichen garnicht reden zu müßen. An derlei gewöhnt man sich allmählich, aber leben kann man davon auch nicht. Die Schüler können hier immer weniger zahlen — sie sind treu und anhänglich, das macht Freude, aber davon kann man nun auch nicht leben. Nun versuche ich es seit 2 Monaten in Hamburg, wie Ihnen veilleicht Violin erzählt hat, unter Strapazen und Anstrengungen — vorläufig ist nicht viel mehr als die Spesen — und daß ich dort auch nun irgendetwas unversucht lasse, kann man mir nicht sagen. Die Leute staunen mich wie ein Wundertier an, daß mir auch nur das in der heutigen Zeit gelungen ist. Nun wird vielleicht ein Kurs bei Frau Michaels zustandekommen — es sind aber 2 Wochen seit der Besprechung und ich habe noch nichts gehört, wiewohl ich am 20. wieder umfahren soll.
— Irgendwelche persönliche Zeit hat Furtw. {5}| für mich nun garnicht übrig. Im letzten Konzert war ich übrigens nicht, weil ich arbeiten wollte. Daß er wirklich helfen könnte, glaube ich schon — aber ich bin nicht der einzige, der zu ihm kommt.
Eine andere Affäre hat mich ein wenig mitgenommen. Das es eines Tages zwischen mir und Bertram zu Konflikt kommen müßte, von dem ein Teil der Schüler bei mir Theorie lernt, war vorauszusehen. Er arbeitet schon lange gegen mich — weil er sieht, daß seine Schüler etwas erfahren, von dem er eben keine Ahnung hat — nur die Betreffenden sind eben sehr für mich, insbesonders ein Herr Oster, der die andern für mich zu gewinnen sucht. Nun ist sozusagen “offener Krieg” — er hat mit einer Drohung geschlossen, die Betreffenden vor eine Alternative zu stellen. Was ihm einen Brief von mir eingetrugen hat, den {6} er wohl jemand zeigen wird. Jedenfalls eine unerquickliche Situation. Umso schlimmer, da ja ein Teil der Schüler sehr von B. abhängig ist. — So gelangt man immer mehr in jene Isolierung, die heute vielleicht angebracht und erwünscht ist, aber die Lebenshaltung natürlich nicht erleichtert. Rundfunk ist ja für mich erledigt, Zeitschriften so gut wie — auch sind sie überschwemmt mit Artikeln. Im jüd. Kultusbund halte ich am 29. einen lächerlich bezahlten Vortrag über “Mendelssohn” — mit Gesang und Klavier. Nun haben Sie ein ungefähres Bild von mir. Sehr würde es mich interessieren, wie Sie die bösen Tage in Wien verbracht haben. Ob Sie irgendwie zu leiden hatten, außer den allgemeinen Schrecken. — Ist übrigens Herr van Hob. in Wien? Gehört habe ich seit Monaten nichts von ihm — mein letzter Brief ist ohne Antwort geblieben. {7} Jedenfalls hat er mich irgendwie aufgegeben. Warum weiß ich nicht — ich glaubte ihm genügend plausibel gemacht zu haben, daß die persönliche Kränkung, als die er mein “gebrochenes Versprechen”, dem Archiv einer Abschnitt zu widmen, unber aufgefaßt hat, unberechtigt sei. Auch habe ich deshalb ja die Änderung vorgenommen und ihm geschrieben, daß ich mich nun doch zu einem “Anhang” entschlossen habe. Sehr leid tut mir das vor allem deshalb, weil er mich vielleicht nun für “undankbar” hält, wozu er, weiß Gott, nicht die allergeringste Veranlaßung hat. — Nun will ich aber schließen. Ich wünsche Ihnen allerbestes Wohlergehn, ebenso Ihrer werten Frau Gemahlin. Ich verbleibe mit ergebensten
Grüßen stets Ihr
[ sign'd:] Oswald Jonas
© Heirs of Oswald Jonas.
© Transcription John Rothgeb 2006.