Handwritten letter from Schenker to Hertzka (UE) + list of names, dated October 19, 1910
Sehr geehrter Herr Direktor!
Meine Schülerin hat sich inzwischen für Donnerstag bereits angesagt. So muß ich schreiben, statt, was mir lieber gewesen wäre, mündlich die Sache rasch zu erörtern.
Im ersten Absatz des Vertrages möchte ich bitten, den Charakter des Werkes: “Monographie” in den Text aufzunehmen, nur damit im 2. Absatz das Wörtchen “monographisches” wiederkehren kann, das mich unter allen Umständen davor schützen soll, angegriffen zu werden, sollte ich je in einem anderen Zusammenhange, z.B. in einem großen Werk, ein paar Worte über die IX Symph. verlieren müssen. Ich kann doch[corr] nicht annehmen, daß Sie mir damit sagen wollen : “Nie u. nirgends dürfen Sie zur IX Symph. etwas mehr sagen”?
Der 3. Absatz könnte bestenfalls heißen: “die U.E. ist berechtigt, Vorschläge zu Änderungen zu machen”[.] Solche Vorschläge habe ich von H. v. Wöss auch zur “chrom. {2} fantasie” mit Vergnügen angenommen, habe gestattet, daß der Inhalt einer Klammer, der angeblich gegen das Geschäftsinteresse der U.E. ge verstöße [corr from: verstößt], ausgemerzt werde.
Sprechen Sie doch, sehr geehrter Herr Direktor, allezeit lieber offen mit mir: wir haben uns dann sicher in paar Minuten verständigt. Ich beginne mit der Offenheit:
Es ist klar, daß ich nicht im Geringsten darauf ausgehe, das Geschäftsinteresse der U.E. zu brüskieren. Muß mir selbst doch das Ansehen des Verlages ein Ziel meiner Tätigkeit sein! Aber ich frage, wenn ich künstlerisch-technisch darstelle, wie z.B. Wagner u. Liszt in Bezug auf diese oder jene Stelle sich geirrt haben, verstöße dieses schon gegen die U.E? Nottebohm| hat im Verlage Rieter-Biedermann| eine [ric]htige Stelle der III Symph. vor Wagner gerettet, warum dürfte ich ähnliches nicht wagen? Ist Beethoven vogelfrei, wie ein Jud’ nach der Ansicht der Antisemiter? Gegen die “Retouchen” bei Beeth. habe ich einmal schon in der W. “Abendpost” geschrieben, u.zw. über Einladung Dr. Hirschfelds. Darf ich nicht sagen, daß man das Original {3} stehen lassen muß? Ich werde an der Aufführung[corr] des Direktors Kretschmar (Berlin), Prof. Riemann| Kritik (nur nebenbei, u. mit kleinen Lettere, etwa unter dem Titel: Literatur) zu üben haben, wäre das auch nicht erlaubt?
S[o] wie es eben steht, ist der erste Satz des 3.[corr] Absatzes unhaltbar. Kein Vertrag in der Welt hat je einen solchen enthalten, das wissen Sie, ebenso gut, wie ich. Es liegt doch so nahe, daß ich sage, derjenige, der die “sachgemäßen Zusätze, Änderungen u.sw. zu machen berufen sein” wird[corr], möchte doch lieber gleich selbst die Monographie schreiben. Nein, nein! Der besagte Satz ist desto fataler, je überflüssiger er ist. Bei [an]genehmen Verkehr[corr] ohne Hinterhalt zwischen Ihnen u. mir ist dergleichen, fast nach Wucher schmeckende Worte zu fixieren, ganz, ganz überflüssig. Sie können allezeit auf meine Coulance rechnen, sobald Sie selbst coulant sind, u diese Art führt uns näher zum Ziel.
Der 2. Satz des 3. Absatzes enthält die Gefahr für {4} meine Arbeit, daß sie einfach auch bei Seite gelegt werden könnte. Ich kann nicht annehmen, daß Sie schon jetzt, da Sie eben den Vertrag übersenden, gerade an das Beiseitelegen Vdenken, – wozu dann der Vertrag überhaupt? –, u. so glaube ich, daß die Erfahrung mit der “chrom. fantasie” Ihnen den Satz diktiert hat. Nicht wahr? Darauf erwiedere ich a[lles] was ich wiederholt sagte : Es ist doch selbstverständlich, daß aktuelle Verlagswerke (aktuelle auch im Sinne des kaufmännischen Verdienens!) den Vorrang haben! Hätten Sie nur im vorigen Jahr gesagt : ich muß Mahler| u. Korngold| vorausschicken, Niemand wäre Ihnen in dem geschäftlichen Gedanken williger gefolgt, als ich. Vernunftsgründen, der Offenheit u. Coulance bin ich allezeit zugänglich. So erlaube ich mir, statt das soeben hier in Frage kommenden Satzes, vorzuschlagen: “Die Herausgabe hat bis spätestens zwei (wenn Sie wollen, drei) Jahre nach Ablieferung des Manuscripts zu erfolgen”
Ebenso empfiehlt sich, schon im ersten Absatz, {5} sozusagen blos ad honorem, bei den Worten “für alle Auflagen” noch die Worte “bis zur Höhe von (sagen wir:) 2000 (oder 3000) Exemplaren “ hinzuzufügen. Ihnen schadet es nicht, u. der Vertrag lautet humaner, consilianter.
Übrigens, u. nun komme ich auf den Hauptsache, werden Sie [selb]st Interesse an der Monographie haben. Das Werk ist doch um soviel populärer, als die “chrom. fantasie”! Und, wie gesagt[corr], es wird Sie nie reuen, eine Monographie von mir über die IX. S. im Verlag zu besitzen, ebensowenig, als Sie je reuen wird, die beste, anschaulichste Darstellung dessen, was eine Fuge ist im besten Sinne des Wortes, in der “chrom. f.” zu besitzen. Über kurz oder lang wird es sich herauss[te]llen, daß kein| Lehrbuch der Fuge, mag es das älteste, das frühste sein, damit wertvolle Aufschlüsse über die Fuge bis nun gegeben hat, als meine Ausgabe der “chrom. fant.” Ich sprach darüber schon mit Prof. Heuberger, u. Robert.
Ähnlich versichere ich Sie, daß es zu den Notwendigkeiten des Kunstlebens gehört, daß meine Ansicht über die IX Symph., die ja so beleidigt wird, {6} vernommen werde. Wie ich nicht müde werde, auch dieses zu wiederholen, daß die Rettung der letzten Sonaten von Beeth. ein notwendiger Kulturakt ist! Sprechen Sie doch mit Dir. Bopp. Sehe ich ihn einmal, so will ich gerne die Frage selbst erörtern.
Und mehr als das : ich bin bereit, sobald Sie Ihrerseits mir Offenheit u. Coulance zeigen, aus Liebe zum Autor auch den Herausgabe des mehrfach erwähnten Toccatenbands zu übernehmen: ohne Erläuterung, u. nur eventuell eine, oder 2 Seiten “Revisionsbericht” hinten, sobald es sich herausstellen würde, daß ich, ähnlich wie bei der “chr[om.] fantasie”, “vom offiziellen Text der Bachausgabe abzuweichen genötigt wäre!
Nun sehen Sie, welche Ziele ich der “U.E.” u. mir zu setzen bereit bin! Es ist an Ihnen, zu zeigen, daß Sie das Erreichen solcher hohen Ziele selbst wünschen, nicht etwa dadurch, daß Sie mich auffor- {7} dern würden, die Arbeiten billig zu machen, sondern im Gegenteil dadurch, daß Sie den Kern der gegenwärtigen Situation auf des Kunstlebens richtig erfassen u. Werte sicherstellen, die viel, viel Geld tragen werden!
Ich hoffe, bald den Verlag [recte: Vertrag] mit den Amendements unterschreiben u. das Mnspt. fertig machen zu können.
Beifolgend eine Liste von Namen, für die ich ehrenhalber ein Exemplar der “chrom. fantasie” von der “U.E.” erbitte! Im Vorhinein meinen besten Dank für die Mühe!
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr ergeb
[ sign’d: ] H Schenker
19. 10. 10.
{8}
[ separate sheet, paginated “zu 67”: list of recipients of complimentary copies of the Chromatic Fantasy & Fugue]
[ written at top, presumably by UE: ] Schenker Bach
1) H. Prof. Ernst Rudorff, derzeit in Lauenstein Hannover
2.) Lg[?] Prof. Ludwig Mosbacher, Nürnberg, Lindenaststrasse 45
3) Prof. R. Heuberger (Adresse bekannt)
4) [ Prof.] R. Robert ([Adresse bekannt)]
5) H. Direktor Fd. Löwe ([Adresse bekannt])
6) [H.] Dr Robert Hirschfeld ([Adresse bekannt])
7) Frau Sonja Davydoff, St. Petersburg, Katherinen-Kanal, 1014|
8) Dr. Karl Grunsky, Stuttgart, Stitzenburgstr. I.|
9) H. Prof. Dr. Burkhardt, Berlin: Steglitz, Düppelstr. 22|
10) H. Prof. M. Violin, Wien, XIV. Sechshauserstr. 126.|
11) Frl. Marianne Kahn, XIX. Hauptstr. 70.|
12) Prof. Fritz Wahle, I, Börsegasse 9|
u. schließlich mir selbst noch 1–2 Exemplare!
Besten Dank!
13) Prof. Eduard Gärtner, III. Metternichgasse|
14) Prof. Richard Epstein, London, 7 (?)
© In the public domain.
© Transcription Ian D. Bent 2006.